Schau Dich Nicht Um
irgendwo aus der Ferne Trishs verführerisches Lachen, das sie zu verspotten schien.
»So was spricht sich anscheinend herum«, sagte sie, Dons Worte gebrauchend, sah dann ihren geschiedenen Mann, der gerade seine neue Herzensdame mit den anderen Gästen bekannt machte.
»Und - was hast du beschlossen? Wirst du dich mit Totschlag zufriedengeben? Und dem Steuerzahler die Kosten für ein Geschworenengericht sparen, das sich nicht entscheiden kann?«
»Du glaubst offensichtlich nicht, daß ich eine Verurteilung erreichen werde«, stellte Jess fest und kämpfte gegen die aufkommende Hoffnungslosigkeit. Mußte er ihr denn immer sagen, was sie nicht hören wollte?
»Für Totschlag vielleicht, aber für Mord niemals.«
Jess schüttelte angewidert den Kopf. »Der Mann hat seine Frau kaltblütig ermordet.«
»Er war nicht bei Sinnen. Seine Frau ist fremdgegangen. Wochenlang hatte sie ihn als Versager verhöhnt. Es wurde einfach zuviel. Es kam zu einem Riesenkrach. Sie sagte, sie würde ihn verlassen, er
würde seine Kinder nie wiedersehen, sie würde ihn zum armen Mann machen. Und da ist er ausgerastet.«
»Der Mann war ein brutaler Tyrann, der es nicht ertragen konnte, daß seine Frau endlich den Mut aufbrachte, ihn zu verlassen«, konterte Jess. »Versuch nicht, mir einzureden, es sei ein Verbrechen aus Leidenschaft gewesen. Es war Mord, schlicht und einfach Mord.«
»Alles andere als einfach«, widersprach Greg Oliver. Er machte eine Pause, wartete vielleicht darauf, daß Jess etwas sagen würde, und fuhr fort, als sie es nicht tat. »Sie hat sich über ihn als Mann lustig gemacht, vergiß das nicht. Viele von den männlichen Geschworenen werden seine Reaktion verstehen.«
»Das wollen wir doch mal festhalten«, sagte Jess. Sie trank ihr Glas mit einem Schluck leer und nahm sich vom Tablett eines vorüberkommenden Kellners ein frisches. »Du findest es akzeptabel, daß ein Mann seine Frau dafür umbringt, daß sie ihn in seiner Männlichkeit kränkt?«
»Ich halte es für möglich, daß es Bristol gelingen wird, die Geschworenen davon zu überzeugen, ja.«
Jess schüttelte angewidert den Kopf. »Was ist das eigentlich - sind Frauen Freiwild?«
»Ich will dich nur warnen. Beim Fall Barnowski hab ich auch recht gehabt, wenn du dich erinnerst.«
Jess sah sich verzweifelt im Saal um, wünschte, sie würde jemand entdecken, zu dem sie sich stellen konnte. Irgend jemanden. Aber es war niemand da. Jeder Topf schien hier bereits seinen Deckel gefunden zu haben. Kein Mensch warf auch nur einen Blick nach ihr.
Es war ihre eigene Schuld, das war ihr klar. Sie hatte noch nie leicht Freundschaften geschlossen. Sie war zu ernst, nicht spielerisch genug. Sie machte den Leuten angst, schreckte sie ab. Sie mußte hart arbeiten, um Freundschaften anzuknüpfen, noch härter, sie aufrechtzuerhalten. Sie hatte es aufgegeben. Sie arbeitete schon im Büro hart genug.
»Du siehst heute abend sehr verlockend aus«, sagte Greg Oliver und neigte sich so nahe zu ihr, daß seine Lippen ihr Haar streiften.
Jess drehte sich so ruckartig herum, daß ihr Haar Greg Oliver ziemlich unzart ins Gesicht flog. Sie sah, wie er zurückschreckte. »Wo ist deine Frau, Greg?« fragte sie so laut, daß sie von den Leuten in unmittelbarer Nähe gehört werden konnte. Dann wandte sie sich ab und ging davon, obwohl sie keine Ahnung hatte, wohin sie eigentlich wollte.
Die nächsten fünfzehn Minuten brachte sie in ernsthaftem Gespräch mit einem der Kellner zu. Das meiste, was er sagte, verstand sie nicht - der Saal begann ein wenig zu schwanken -, aber sie schaffte es, ein interessiertes Gesicht zu machen und zu nicken, wann immer ihr es angemessen schien.
»Trink nicht so viel«, flüsterte Don plötzlich hinter ihr.
Jess lehnte sich nach rückwärts an seine Brust. »Wo ist Mutter Teresa?« fragte sie.
»Wer?«
»Teresa«, wiederholte Jess hartnäckig.
»Du meinst Trish?«
»Natürlich, Trish. Entschuldige.«
»Sie mußte mal verschwinden. Jess, warum hast du mich vorhin nach Rick Fergusons Wagen gefragt?«
Jess erzählte. Von ihrem knappen Entkommen in der Michigan Avenue, dem beinahe erfolgten Zusammenstoß in Evanston, dem weißen Wagen vor ihrer Wohnung. Dons Gesicht spiegelte Interesse, Besorgnis, dann Zorn, alles in rascher Folge. Seine Reaktion war pragmatisch, wie typisch für ihn.
»Hast du dir das Kennzeichen aufgeschrieben?«
Jess wurde sich bestürzt bewußt, daß sie daran nicht einmal gedacht hatte. »Es ging alles so
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