Schau Dich Nicht Um
Barnowski-Prozesses, als sie geglaubt hatte, im Gesicht einer der Geschworenen ihre Mutter zu erkennen.
Sie wollte nicht mehr über ihre Mutter sprechen.
»Ich glaube, ich weiß, was los ist«, behauptete sie. »Ich glaube, es hat mit einem Mann zu tun, gegen den ich ermittle.« Sie sah plötzlich
Rick Fergusons Gesicht im Glas des Bildes, das an der Wand in Stephanie Banacks Zimmer hing. »Er hat versucht, mich mit Drohungen einzuschüchtern...«
»Was waren das für Drohungen?«
Leute, die mir in die Quere kommen, neigen dazu zu verschwinden...
Verschwinden.
Wie ihre Mutter.
Das habe ich nicht nötig, Jess. Das muß ich mir von dir nicht gefallen lassen!
Sie wollte nicht an ihre Mutter denken.
»Weißt du, ich glaube, es ist gar nicht so wichtig zu wissen, warum diese Anfälle auftreten; mich interessiert mehr, was ich tun kann, um sie abzustellen.«
»Ich kann dir ein paar einfache Entspannungsübungen empfehlen, mit denen du arbeiten kannst; Techniken, die den Anfällen die schlimmste Wirkung nehmen«, sagte Stephanie Banack, »aber ich denke, wenn du sie wirklich loswerden willst, mußt du dich mit den tieferliegenden Problemen auseinandersetzen, die diese Anfälle auslösen.«
»Du sprichst von einer langen Therapie?«
»Ich spreche von Therapie, ja.«
»Ich brauche keine Therapie. Ich brauch nur diesen Kerl hinter Gitter zu bringen.«
»Wieso kann ich nicht glauben, daß es so einfach ist?«
»Weil du’s nicht anders gelernt hast.« Jess sah auf ihre Uhr, obwohl sie bereits wußte, wie spät es war. »Ich muß zurück ins Büro.« Sie stand aus dem bequemen Sessel auf und ging so schnell, als hätte jemand Feueralarm gegeben, zur Tür des Vorzimmers.
»Jess, warte -«
Ohne stehenzubleiben, ging Jess ins Vorzimmer hinaus, nahm ihren Mantel aus dem Schrank und warf ihn sich auf dem Weg zur
Korridortür über die Schultern. »Es war nett, dich wiederzusehen, Stephanie. Paß auf dich auf.« Sie trat in den Korridor hinaus und steuerte auf die Aufzüge zu.
»Ich bin immer hier, Jess«, rief Stephanie Banack ihr nach. »Du brauchst mich nur anzurufen.«
Da rechne mal lieber nicht mit, hätte Jess gern geantwortet, aber sie tat es nicht. Es war gar nicht nötig. Ihr Schweigen sagte alles.
10
K ann ich etwas für Sie tun?«
»Ich schaue mich nur um, danke.«
Was tu ich denn jetzt wieder, fragte sich Jess, während sie ein Paar Bruno-Magli-Slipper aus grünem Wildleder musterte. Was hab ich hier in diesem Laden zu suchen? Schon wieder neue Schuhe sind das letzte, was ich brauche.
Sie sah auf ihre Uhr. Fast halb eins. In einer Stunde war sie mit der Leiterin der Gerichtsmedizin verabredet, die drüben in der Harrison Street saß, mindestens zwanzig Minuten mit dem Wagen, und ihr Auto stand immer noch in der Werkstatt. Die Leute hatten sie in aller Frühe angerufen und ihr etwas von einer weiteren kleineren, aber absolut notwendigen Reparatur erzählt. Sie würde sich ein Taxi nehmen müssen.
»Woran haben Sie denn in etwa gedacht?« Der Verkäufer ließ sich nicht abschütteln.
»Ich habe eigentlich an gar nichts gedacht«, antwortete Jess kurz.
Der kleine ältere Mann mit dem schlecht sitzenden braunen Toupet verneigte sich mit übertriebener Höflichkeit und ging dann eilig auf eine Frau zu, die eben in den Laden getreten war.
Jess ließ ihren Blick langsam über einen langen Tisch mit einer
erstaunlichen Auswahl an sportlichen Schuhen in vielen Farben gleiten. Sie nahm ein Paar senfgelber Mokassins vom Tisch und drehte sie in den Händen. Nichts geht über ein Paar neue Schuhe, wenn man seine Probleme loswerden will, dachte sie, während sie über das weiche Wildleder strich. Das war im Grund die ganze Therapie, die sie brauchte. Auf jeden Fall billiger, stellte sie mit einem Blick auf das Preisschild fest, das auf der Sohle klebte. Neunundneunzig Dollar im Vergleich zu...
Im Vergleich wozu?
Über den Preis hatte sie mit Stephanie Banack nicht gesprochen, hatte gar nicht daran gedacht, sich nach den Kosten pro Sitzung zu erkundigen, war einfach gegangen, ohne die Frau auch nur zu fragen, was sie ihr schuldete. Nicht nur war Stephanie Banack um ihr Mittagessen gekommen, sie hatte auch keine Bezahlung erhalten. Zwei Unhöflichkeiten auf einmal.
Mit einem ärgerlichen Kopfschütteln stellte Jess die Schuhe wieder auf den Tisch. Sie war nicht nur unhöflich gewesen, sondern obendrein anmaßend. Sie hatte die Freundin ihrer Schwester sehr schlecht behandelt. Sie würde sich entschuldigen
Weitere Kostenlose Bücher