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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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und weiß nicht, was er tun soll. Natürlich fängt es an zu regnen. Plötzlich läuft eine Gruppe Jogger vorbei, der Mann packt die Gelegenheit beim Schopf und springt mitten in die Gruppe, um mit den Männern weiterzulaufen. Nach ein paar Sekunden dreht der Jogger neben ihm den Kopf, schaut ihn von oben bis unten an und sagt: ›Entschuldigen Sie, darf ich Ihnen eine Frage stellen?‹ Der Mann sagt: ›Bitte.‹ ›Joggen Sie immer nackt?‹ fragt der Jogger, und der Mann antwortet: ›Ja, immer.‹ Worauf der Jogger fragt: ›Und tragen Sie beim Joggen immer ein Kondom?‹ ›Nein‹, sagt der Mann, ›nur wenn es regnet.‹«
    Jess stellte fest, daß sie laut lachte.
    »Na, das ist ja schon viel besser. Kann ich Ihnen jetzt ein Paar Schuhe verkaufen?«
    Jess lachte noch heftiger.
    »Das sollte nicht komisch sein. Der komische Teil ist vorüber.«
    »Tut mir leid. Sind Sie im Schuheverkaufen so gut wie im Witzeerzählen?«
    »Stellen Sie mich auf die Probe.«
    Jess sah auf ihre Uhr. Sie hatte noch ein wenig Zeit. Gegen ein Paar Schuhe war doch wirklich nichts einzuwenden. Das schuldete sie schon dem Laden, nachdem sie diese schwarzen Lackpumps so übel zugerichtet hatte. Außerdem wollte sie noch nicht gehen. Es war lange her, daß ein Mann sie zum Lachen gebracht hatte. Ein schönes Gefühl, es gefiel ihr.
    »Also wenn, dann könnte ich ein Paar neue Stiefel gebrauchen«, sagte sie, froh, einen echten Grund zum Bleiben gefunden zu haben.
    »Bitte, kommen Sie mit.« Adam Stohn führte sie zu den Stiefeln. »Nehmen Sie doch Platz.«
    Jess setzte sich in einen kleinen rostfarbenen Sessel. Zum ersten Mal nahm sie ihre Umgebung zur Kenntnis. Der Laden war sehr modern, überall Glas und Chrom. Die Schuhe waren auf Glastischen, auf Spiegelborden, auf dem weichen goldfarbenen Teppichboden
zur Schau gestellt. Ihr wurde bewußt, daß sie schon mehrmals hier eingekauft hatte, aber an Adam Stohn konnte sie sich nicht erinnern.
    »Sind Sie neu hier?« fragte sie.
    »Ich hab im Sommer angefangen.«
    »Und gefällt es Ihnen?«
    »Schuhe sind mein Leben«, antwortete er. In seiner Stimme schwang etwas wie ein verschmitztes Lächeln. »Also, was für Stiefel darf ich Ihnen zeigen?«
    »Ich weiß selbst nicht genau. Ich möchte nicht einen Haufen Geld für Lederstiefel ausgeben, die innerhalb von Tagen vom Schnee und vom Salz völlig ruiniert sind.«
    »Dann kaufen Sie doch kein Leder.« »Aber sie sollen auch ein bißchen schick sein. Und ich hab gern warme Füße.«
    »Aja, sie sollen schick sein und warm dazu. Ich glaube, ich habe genau das, was Sie suchen.«
    »Tatsächlich?«
    »Habe ich Sie je belogen?«
    »Wahrscheinlich.«
    Er lächelte. »Ich sehe schon, ich habe es mit einer Zynikerin zu tun. Also dann, gestatten Sie.« Er trat zu einem kleinen Tisch mit elegant geschnittenen glänzenden schwarzen Stiefeln. »Die hier sind aus Vinyl, mit Webpelz gefüttert, wasserdicht und absolut pflegeleicht. Sie sind schick; sie sind warm; sie halten garantiert auch dem härtesten Winterwetter stand.« Er reichte Jess einen Stiefel.
    »Und sie sind sehr teuer«, rief Jess überrascht, als sie sah, daß der Schuh zweihundert Dollar kosten sollte. »Für den Preis kann ich auch echtes Leder kaufen.«
    »Aber Sie wollen doch kein echtes Leder. Echtes Leder müssen Sie einsprühen; Sie müssen es sorgfältig pflegen. Echtes Leder ist nicht wasserdicht und bekommt Flecken. Es hat all die Nachteile,
die Sie vermeiden wollen. Diesen Stiefel«, sagte er und klopfte leicht auf den glänzenden Kunststoff, »ziehen Sie an und vergessen ihn. Er ist unverwüstlich.«
    »Sie sind im Schuheverkaufen tatsächlich so gut wie im Witzeerzählen«, bemerkte Jess.
    »Heißt das, daß Sie sie anprobieren möchten?«
    »Größe achtunddreißig«, sagte Jess.
    »Ich bin gleich wieder da.«
    Jess blickte Adam Stohn nach. Ihr gefiel die ruhige Sicherheit seiner Bewegungen, die Geradheit seiner Haltung. Selbstbewußtsein ohne Arroganz, dachte sie, während ihr Blick über die Spiegelwände schweifte.
    Gab es denn kein Entkommen vor dem eigenen Spiegelbild? Waren die Menschen wirklich so versessen darauf, sich jede Sekunde des Tages selbst ins Gesicht zu sehen? Jess fing im Spiegel den halb enttäuschten, halb ärgerlichen Blick des kleinen Verkäufers mit dem schlecht sitzenden Toupet auf. Sie schloß die Augen. Ich weiß, dachte sie, auf seinen schweigenden Vorwurf reagierend, ich bin oberflächlich und leicht zu beeinflussen. Auf ein hübsches Gesicht und

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