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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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...
    »Jess?«
    Jess fuhr herum.
    »Tut mir leid«, sagte Hilary Waughs beim Näherkommen. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Jess nahm Hilary Waughs dargebotene Hand. Immer wieder erstaunte es sie, wie frisch und strahlend die Leiterin des Gerichtsmedizinischen Instituts von Cook County trotz ihrer schweren und unerfreulichen Arbeit stets aussah. Hilary Waugh war sicher an die fünfzig, aber sie hatte die Haut einer weit jüngeren Frau und hielt sich kerzengerade. Sie trug das dunkle schulterlange Haar in einem französischen Zopf aus dem Gesicht gekämmt, die Augen hinter den Brillengläsern mit dem dunklen Rahmen waren hellbraun.
    »Vielen Dank, daß Sie sich die Zeit genommen haben«, sagte Jess, als sie Hilary durch die Tür vom Foyer zu den Büros folgte.
    »Keine Ursache. Was kann ich denn für Sie tun?«
    Der lange weiße Korridor roch schwach nach Formaldehyd; Jess hatte allerdings den Verdacht, daß alle Gerüche, die sie hier wahrzunehmen
meinte, ihrer lebhaften Phantasie entsprangen. Die Leichenhalle war im Souterrain, außer Reichweite.
    »Setzen Sie sich«, sagte Hilary, als sie den kleinen, weiß gestrichenen Raum betraten, der ihr als Büro diente. Sie wies auf einen Sessel vor ihrem Schreibtisch.
    »Ich bleib lieber stehen.« Jess sah sich kurz in dem kleinen Raum um. Er war dürftig eingerichtet. Neben dem alten Metallschreibtisch gab es zwei Sessel, deren burgunderrote Bezüge an den Rändern der Sitzflächen schon fadenscheinig waren. Aktenschränke standen an den Wänden, neben ihnen stapelten sich wacklige Aktentürme. Eine hohe Grünpflanze gedieh erstaunlicherweise, obwohl sie in einer düsteren Ecke fast ganz hinter Büchern verborgen stand.
    »Sie haben offensichtlich einen grünen Daumen«, bemerkte Jess.
    »Oh, die ist nicht echt«, erwiderte Hilary lachend. »Die ist aus Seide, braucht also keine Pflege. Keine echte Pflanze würde sich hier halten, und ich sehe sowieso schon genug Tote. Also, was kann ich für Sie tun?«
    Jess räusperte sich. »Ich suche eine Frau Mitte Vierzig, italienische Abstammung, ungefähr einsfünfundsechzig groß, fünfundfünfzig Kilo, vielleicht auch weniger. Moment!« Jess griff in ihre Handtasche. »Das ist ihr Foto.« Sie zeigte Hilary ein altes Foto, das Connie DeVuono an der Seite ihres sechsjährigen Sohnes Steffan zeigte, dem sie stolz die Hand auf die Schulter gelegt hatte. »Das Bild ist ein paar Jahre alt. Sie ist schlanker geworden seitdem. Und ihr Haar ist etwas kürzer.«
    Hilary nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um das Foto zu studieren. »Eine sehr attraktive Frau. Wer ist sie?«
    »Sie heißt Connie DeVuono. Sie wird seit mehr als zwei Wochen vermißt.«
    »Ach, das ist die Frau, derentwegen Sie mich letzte Woche schon mal angerufen haben?« fragte Hilary Waugh.
    Jess nickte etwas verlegen. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen auf die
Nerven falle. Aber ich muß dauernd an ihren kleinen Sohn denken...«
    »Er hat große Ähnlichkeit mit seiner Mutter«, bemerkte Hilary und reichte Jess das Foto zurück.
    »Ja. Und es ist sehr schlimm für ihn - diese Ungewißheit, nicht zu wissen, was ihr zugestoßen ist.« Jess schluckte.
    »Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich wollte, ich könnte helfen.«
    »Es ist also niemand hereingebracht worden, auf den Connie DeVuonos Beschreibung paßt?«
    »Im Augenblick haben wir hier drei unbekannte weiße Frauen. Zwei sind noch Teenager, wahrscheinlich von zu Hause durchgebrannt. Eine ist an einer Überdosis gestorben; die andere wurde vergewaltigt und dann erdrosselt.«
    »Und die dritte?«
    »Die ist erst heute morgen gekommen. Wir haben noch keine Untersuchungen gemacht. Aber ihrem Zustand nach zu urteilen ist sie erst seit wenigen Tagen tot.«
    »Es ist möglich«, sagte Jess rasch, obwohl sie es für höchst unwahrscheinlich hielt. Rick Ferguson wäre kaum so töricht gewesen, Connie zu kidnappen und dann mehrere Wochen zu warten, ehe er sie tötete. »Wie alt ist die Frau ungefähr? Oder war sie?« korrigierte sich Jess.
    »Das ist im Moment unmöglich zu sagen. Sie ist so brutal geprügelt worden, daß sie kaum noch zu erkennen ist.«
    Jess drehte sich der Magen um. Sie hatte Mühe, ruhig zu bleiben. »Aber Sie glauben nicht, daß es sich bei der Frau um Connie DeVuono handelt?«
    »Nein, die Frau unten hat blondes Haar und ist ungefähr einsfünfundsiebzig groß. Damit kommt sie eigentlich nicht in Frage. Möchten Sie sich wirklich nicht setzen?«
    »Nein, ich muß sowieso gleich wieder los«, antwortete

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