Schau Dich Nicht Um
und führte es vor. »Mit diesen beinharten Fingerknöcheln auf die Nase... Hammerschläge mit der Faust auf die Nase.« Wieder demonstrierte er. Die Frauen sahen ehrfürchtig zu. »Wie man das macht, zeig ich Ihnen später«, sagte er zu ihnen. »Glauben Sie mir, es ist nicht schwer. Man muß es nur lernen. Sie dürfen nicht erwarten, es an Körperkraft mit Ihrem Angreifer aufnehmen zu können. Da würden Sie immer den kürzeren ziehen. Statt dessen müssen Sie lernen, die Kraft des Angreifers gegen ihn selbst einzusetzen.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Jess, überrascht, daß sie gesprochen hatte.
»Gut. Sagen Sie es laut und deutlich, wenn Sie etwas nicht verstehen. Sagen Sie es auch laut und deutlich, wenn Sie es verstehen.« Er lächelte. »Und vergessen Sie nicht zu atmen.«
Dankbar stieß Jess wiederum die angehaltene Luft aus.
»So ist es richtig, tief aus dem Zwerchfell. Sie dürfen nie vergessen zu atmen, sonst geht Ihnen ziemlich schnell der Dampf aus. Diejenigen unter Ihnen, die hier rauchen, sollten es schnellstens aufgeben. Statt dessen tief atmen. Das tun Sie im Grunde ja sowieso schon, wenn Sie rauchen. Sie atmen tief ein und aus. Sie müssen nur lernen, es ohne Zigarette zu tun. Also, was verstehen Sie nicht?« wandte er sich an Jess, unvermittelt zu ihrer Frage zurückkehrend.
»Sie sagten eben, wir sollten die Kraft des Angreifers gegen ihn einsetzen. Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen.«
»Okay, ich werd versuchen, es zu erklären.« Er schwieg einen Moment und kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Nehmen wir das Bild des Kreises«, begann er und beschrieb mit dem Zeigefinger in der Luft einen Kreis. »Wenn jemand versucht, uns gewaltsam an sich zu ziehen, neigen wir dazu, Widerstand zu leisten und dagegen zu ziehen. Aber genau das sollten wir nicht tun. Wir sollten uns von der Kraft des Angreifers zu ihm hinziehen lassen, und zuschlagen, wenn wir da angekommen sind.«
Er packte Jess beim Arm. Instinktiv stemmte sie sich dagegen.
»Nein«, sagte er. »Genau falsch.«
»Aber Sie haben doch gesagt, wir sollen unserem Instinkt trauen.«
»Trauen Sie Ihrem Instinkt, wenn er Sie vor einer Gefahr warnt. Denken Sie daran, daß es als.erstes darauf ankommt, eine Gefahr zu erkennen und so schnell wie möglich vor ihr zu fliehen. Aber wenn Sie bereits in Gefahr sind, sieht die Sache anders aus. Da kann Ihr Instinkt Sie irreführen. Sie müssen daher Ihren Instinkt schulen. So, jetzt kommen Sie noch mal her, damit ich Ihnen und den anderen zeigen kann, was ich meine.«
Widerstrebend trat Jess ein paar Schritte vor.
»Ich werde Sie jetzt an mich heranziehen, und ich möchte, daß Sie Widerstand leisten, wie Sie das eben getan haben.« Dominic sprang plötzlich auf Jess zu, packte sie am Handgelenk und riß sie an sich.
Jess warf sich nach rückwärts, versuchte, ihre Füße in den Boden zu stemmen, um besseren Halt zu bekommen. So einfach würde sie sich nicht unterkriegen lassen, sagte sie sich, als sie den starken Zug an ihrem Arm spürte, den Schmerz, der bis zu ihrem Ellbogen hinaufschoß. Sie wehrte sich noch heftiger, ihr Atem wurde flach.
Im nächsten Moment lag sie auf dem Boden, und Dominic stand über ihr.
»Wie ist das denn passiert?« fragte sie keuchend. Sie hatte keine Ahnung, wie sie so plötzlich aus vermeintlich sicherem Stand flach auf dem Rücken gelandet war.
Dominic half ihr auf die Füße.
»So, und jetzt versuchen wir’s mal auf die andere Art. Leisten Sie keinen Widerstand. Wehren Sie sich nicht gegen mich. Lassen Sie sich von meiner Kraft einfach mitziehen, und wenn Sie dann ganz dicht an mir dran sind, nutzen Sie den Schwung aus, um mich wegzustoßen.«
Jess stellte sich wieder auf. Wieder umfaßte Dominic fest ihr
Handgelenk. Diesmal jedoch ließ sie sich, anstatt Widerstand zu leisten, anstatt sich zur Wehr zu setzen, von ihm mitziehen. Erst als ihre Körper miteinander kollidierten, setzte sie unvermittelt ihr ganzes Gewicht ein, um ihn wegzustoßen. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.
»So ist’s richtig, Jess!« jubelte Vas ihr zu.
»So ist’s richtig, Mädchen. Sie haben’s geschafft«, fiel Maryellen ein.
»Toll«, stimmte Ayisha zu.
Catarina nickte scheu.
Dominic stand langsam auf. »Ich glaube, jetzt haben Sie verstanden«, sagte er und klopfte seine Kleider ab.
Jess lächelte. » Hohh! « sagte sie.
»Hohh, hohh, hohh!« flüsterte Jess vor sich hin, als sie in der Stadtmitte aus dem U-Bahnschacht ans Licht stieg.
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