Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Nießen
Vom Netzwerk:
wenn ich kotzend auf der Toilette säße, meine Tanten und Verwandten alles stehen und liegen lassen würden, um diesem Ereignis beizuwohnen. Rettungsdienstlich betrachtet, hat dieser Zusammenhalt aber auch Nachteile. Es gibt einfach zu viele gute Ratschläge. »Es ist eine Grippe, so was mit Viren, man muss Wadenwickel machen, um das Fieber zu senken«, sagte eine Stimme aus dem Flur. »Ich kenne jemanden, der einen blutigen Aderlass machen könnte, allerdings sitzt der gerade im Gefängnis.« »Er soll warmes Bier trinken!« »Nein, Salzwasser!« »Es wird wohl eine harmlose Lebensmittelvergiftung sein.« »Ich hab homöopathische Salze dabei!« »Bloß nicht, meine Mutter musste danach an die Dialyse!« »Zwieback und Cola!« »Erst mal Natron, wegen der Säure, der holt sich sonst ein Geschwür.« »Vielleicht ist er ja von irgendwas gestochen worden?« »Womöglich Tigermücke, die überträgt sogar Denguefieber.« »Nein, er hat sich den Magen verdorben!« »Ja, aber woran?« »Die Hühnersuppe von gestern!« »Nein, nicht meine Hühnersuppe, die war ganz frisch!« »Ich bleib dabei, er muss warmes Bier trinken, zwei Liter.« »Es könnte auch psychisch sein.« »Vielleicht ist er ja gefallen, ich hab nach einer Gehirnerschütterung auch mal gebrochen!« »Warmes Bier ...« An dieser Stelle platzte Hein der Kragen: »Ruhe jetzt hier, und zwar die ganze Mannschaft!« Die Familiendiskussion hatte einen Grad medizinischen Schwachsinns erreicht, den Hein nicht länger ertragen konnte. Die Zeit drängte schließlich, die erste Halbzeit müsste gleich zu Ende sein. »Alle raus hier, bis auf den Patienten und die Mutter«, befahl Hein im Tonfall eines Hauptfeldwebels. Ein junger Typ mit viel zu kleiner Baseballmütze auf dem Kopf fragte: »Eh, kann ich auch hier bleiben, eh, ich bin der beste Kumpel und so, weißt du?« »Von mir aus, du auch, aber der Rest geht jetzt bitte nach draußen, damit wir in Ruhe arbeiten können.« Die Menge folgte brav den Anweisungen. Jetzt konnten wir uns endlich um unseren Patienten kümmern. Denkste. Der beste Kumpel war noch besser als gedacht. »Eh, kannst du dem nicht einfach ne Spritze geben, eh?« »Nein, können wir nicht, ich weiß ja nicht mal, gegen was oder wofür«, stellte ich fest. Hein befragte mittlerweile abwechselnd Mutter und Patient nach der möglichen Ursache für das Erbrechen, während ich Blutzucker, Blutdruck, Herzfrequenz und Temperatur ermittelte. Wie erwartet war alles im grünen Bereich, keiner der Parameter gab Anlass zur Sorge. »Sie haben  also keine Idee, woher die Beschwerden kommen? Waren Sie mal beim Hausarzt, oder haben Sie den ärztlichen Notdienst angerufen?«, fragte Hein. »Wir haben vor einer Stunde angerufen, aber der Notdienst hat gesagt, sein Dienst beginnt erst nach dem Fußballspiel. Zum Hausarzt wollte ich morgen. Als das gestern anfing mit dem Erbrechen, wusste ich ja nicht, wie schlimm das wird.« Die Gesichtsfarbe von Hein wechselte in Bruchteilen einer Sekunde, von Rosig über Rot und dann ins Dunkelrot. Hein stand kurz vor seinem ersten Patientenmord: »Gestern fängt bei Ihnen die Kotzerei an, und ausgerechnet jetzt fällt Ihnen ein, den Rettungsdienst zu rufen - mitten im Spiel!« Der Typ mit der Baseballmütze wollte etwas sagen, holte Luft, hatte aber keine Chance. Noch bevor das erste Wort seinen Mund verlassen konnte, brüllte Hein ihn an: »In geschlossenen Räumen wird keine Kopfbedeckung getragen! Ruhe jetzt, wir fahren deinen Kumpel ins Krankenhaus, sollen die sich um die Kotze kümmern!« »Eh, wieso Krankenhaus? Eh, kannst du dem hier keine Spritze geben, die hilft?« Heins Blick wurde leer. »Nein!«, schrie er nach einem Moment der inneren Sammlung: »Nein und nochmals nein!« In diesem Augenblick wurde ich von einer höheren Macht beseelt, die durch mich sprach: »Doch«, sagte ich mit fester Stimme. Hein starrte mich fassungslos an. »Doch, Sie haben recht, wir versuchen das jetzt mal mit dem Spritzegeben«, stimmte ich dem Mützenmann zu, der daraufhin ein sehr zufriedenes Gesicht machte. Ganz im Gegensatz zu Hein, dem vor Staunen fast der Speichel aus dem Mundwinkel lief. Ich öffnete unseren Notfallrucksack und entnahm eine steril verpackte 20-ml-Spritze. Im eingepackten Zustand hielt ich die Spritze unserem Patienten unter die Nase. »Was soll ich damit?«, fragte er berechtigt. »Nicht fragen, in die Hand nehmen und festhalten.« Widerwillig befolgte unser Patient meine Anweisung. Die Sekunden vergingen wie in

Weitere Kostenlose Bücher