Schaut nicht weg
in denenes einen guten Schutz darstellen kann, lauthals auf sich aufmerksam zu machen. Und das kann man üben. Folgende Übungen machen Kindern besonders viel Spaß. Zum Beispiel können Eltern mit ihren Kindern das »Ja-Nein-Spiel« spielen: Einer ruft »Nein«, der andere »Ja«, immer im Wechsel. Dabei wird es naturgemäß immer lauter. Nach einiger Zeit wechseln sie, der »Ja«-Rufer ruft nun »Nein« und umgekehrt. Danach kann man darüber sprechen, was leichter fiel: Das »Ja«-Rufen oder das »Nein«-Rufen. Kinder sollten auch wissen, worauf es bei einem »Nein« vor allem ankommt, damit der Gegenüber es wirklich ernst nimmt. Das Kind sollte dem anderen fest in die Augen schauen und dabei weder kichern noch kreischen, noch flüstern – sondern kurz und laut »Hör auf!«, »Lass das!« oder »Ich will das nicht!« sagen. Im Idealfall wird das »Nein« noch durch den Einsatz von Körpersprache unterstrichen. Auch zu diesem Thema gibt es gute Bücher: Zum Beispiel »Das große und das kleine Nein« (Braun/Wolters) und » Melanie und Tante Knuddel« (Braun/Wolters).
Ein Kind, das selbstbewusst »Nein« sagen kann, wird schnell merken, wenn jemand dieses »Nein« nicht respektiert. Weiß das Kind dann noch, dass es Berührungen ablehnen darf, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit zeitnah einer Vertrauensperson erzählen, dass ein Erwachsener oder älterer Jugendlicher dieses »Nein« ignoriert hat. Um Schuldgefühlen vorzubeugen, sollte man Kindern aber auch vermitteln, dass es Situationen geben kann, in denen selbst Erwachsene kein »Nein« herausbekommen oder vielleicht nur ein ganz zaghaftes »Nein«. Und dass es auch immer wieder Erwachsene gibt, die auf das »Nein« eines Kindes einfach nicht hören. Das ist wichtig, um dem Kind klarzumachen, dass derjenige, der kein »Nein« sagen konnte oder auf dessen »Nein« nicht gehört wurde, nicht schuld an derMissbrauchssituation ist. Stattdessen sollte man mit dem Kind auch Überlegungen darüber anstellen, was es tun könnte, wenn ein Erwachsener sein »Nein« einfach nicht respektiert.
»Zu zweit ist es einfacher«: Lernen, sich Hilfe zu holen
Ein Kind sollte wissen, dass es stets eine gute Idee ist, sich in schwierigen Situationen Hilfe zu holen. Bei dieser Botschaft haben wir Erwachsene eine enorme Vorbildfunktion. Und nicht immer gelingt es uns, diese effektiv wahrzunehmen. Wenn wir uns im Alltag häufig alleine abmühen – beispielsweise, indem wir das Regal ohne Hilfe unserer Partner aufzubauen versuchen oder das kaputte Außenlicht zu reparieren versuchen, obwohl wir keine Ahnung von Elektrizität haben und unser Nachbar doch Elektriker ist – dann zeigen wir unseren Kindern: »Man erledigt Dinge lieber alleine, als dass man sich die Blöße gibt, um Hilfe zu bitten.« Und doch wünschen wir uns, dass unsere Kinder uns oder andere Vertrauenspersonen um Hilfe bitten können, sollten sie sich jemals in einer schwierigen Situation befinden. Wir sollten ihnen also zeigen, dass es häufig schöner und einfacher ist, Dinge zu zweit zu erledigen. Beispielsweise, indem wir sie beim Rasenmähen, Wäschezusammenlegen oder Kochen gelegentlich um Hilfe bitten oder umgekehrt ihnen unsere Hilfe anbieten, zum Beispiel beim ungeliebten Zimmeraufräumen.
Wie wir im kommenden Kapitel sehen werden, liegt es in der Dynamik sexuellen Missbrauchs, dass sich Mädchen und Jungen bei der Suche nach Hilfe häufig nicht als Erstes an ihre Eltern wenden. Denn für die Kinder ist es meist einfacher, sich zuerst an Personen zu wenden, die ihnen nicht so wichtig sind wie die Eltern. Das kann eine Lehrerin sein,ein Trainer im Verein, die Mutter einer Schulfreundin, Fachleute aus Präventionsprojekten oder für ältere Jugendliche die Mitarbeiter von Beratungsstellen. Wenn wir Eltern uns mit unseren Kindern über das Thema »Hilfe holen« unterhalten, sollten wir also die Möglichkeit nutzen, herauszufinden, wem unsere Kinder ihr Vertrauen schenken würden. Stellen wir dabei fest, dass sie niemanden außer uns haben, sollten wir gemeinsam mit ihnen überlegen, wer aus der Verwandtschaft und dem Bekanntenkreis dafür infrage kommen könnte. Benennt das Kind Personen, bei denen es uns nicht wohl ist, können wir versuchen, vorsichtig darauf einzuwirken. Eine Möglichkeit, darüber zu sprechen, kann zum Beispiel das Erstellen einer »Hilfehand« sein. Alle Familienmitglieder malen ihre linke oder rechte Hand auf ein Blatt Papier. In jeden Finger soll nun eine Person gemalt oder
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