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Schaut nicht weg

Schaut nicht weg

Titel: Schaut nicht weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Zu Guttenberg
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schweigt. Denn Kinder bemerken genau die Unsicherheit ihres Gegenübers und versuchen, die Person vor einer Überforderung zu schützen.« Doch auch wenn man betroffene Kinder und Jugendliche nicht ausfragen soll, bedeutet dies nicht, dass man mit kindlichen Opfern sexuellen Missbrauchs nicht über die Gewalterfahrungen sprechen darf. Vielmehr sollte die außenstehende Person sachlich bleiben und dem Kind behutsame Hilfestellung geben, damit es von sich aus über die belastenden Erlebnisse sprechen kann – soweit es dies überhaupt will. Die Vertrauensperson sollte dem Kind dabei im Gespräch Botschaften übermitteln wie: »Du darfst darüber reden«, »Ich kann das Problem benennen«, »Ich glaube dir, was du mir erzählst«, »Ich kann es ertragen, zu hören, was du erfahren hast«, »Du hast keine Schuld« und »Wir werden zusammen eine Lösung finden«. Selbst wenn sich der Verdacht auf sexuellen Missbrauch erhärtet, sollten die Vertrauenspersonen keine unüberlegten Schritte einleiten – denn diese könnten möglicherweise bewirken, dass der Täter frühzeitig vom Verdacht erfährt und den Druck auf sein junges Opfer erhöht.
    Dennoch gilt es natürlich, Maßnahmen zum Schutz des Kindes und für die Offenlegung gegenüber der Familie zu ergreifen. Ein »Patentrezept« gibt es hierfür aber nicht. Welche Hilfen im Einzelfall die richtigen sind, hängt vom Alter des Kindes, von der Dauer und der Schwere des Missbrauchs sowie von der Beziehung des Kindes zum Missbraucher und den übrigen Lebensumständen des Kindes ab. Auch die Reaktion des nicht missbrauchenden Elternteils hat Einfluss auf die Intervention. Im Zweifelsfall ist es also immer eine gute Idee, sich zunächst telefonisch weiterhelfen zu lassen – entweder von der durch Innocence in Danger e.V. initiierten Telefon-Hotline N.I.N.A. oder einer örtlichen Beratungsstelle. In allen Großstädten, aber auch in vielen kleineren Städten, Gemeinden und Landkreisen gibt es mittlerweile Anlauf- und Beratungsstellen, die sich auf das Problemfeld »Sexuelle Gewalt« spezialisiert haben (Adressen siehe Teil IV). Die meisten Einrichtungen arbeiten vertraulich und können den Vertrauenspersonen beim sorgfältigen Abklärungsprozess beistehen, den der Verdacht auf sexuellen Missbrauch nötig macht – sowie beim schwierigen Erstkontakt zur Familie des Kindes. Denn gerade hier sollten das weitere Vorgehen und die Sachlage sorgfältig überlegt und richtig eingeschätzt werden. Eine voreilige Einweihung der Mutter oder des Vaters könnte verheerende Folgen haben und den Druck auf das Kind verstärken, gerade natürlich in Situationen, in denen der Täter aus dem familiären Nahraum kommt. In Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle könnte dann auch die Kontaktaufnahme zum Jugendamt und schließlich auch zur Polizei geschehen. Für diese Art der professionellen Begleitung entschieden sich letztlich auch die mir bekannte Lehrerin und deren Direktorin: Nach einer Vermittlung durch N.I.N.A. fanden sie den Weg zu einer Berliner Beratungsstelle, die mit ihnen die Kontaktaufnahmezur Mutter des Kindes vorbereitete und schließlich auch den Kontakt zum Jugendamt herstellte.
»Warum haben wir nichts gemerkt?«: Wie Eltern reagieren, wenn sie durch Dritte herausfinden, dass ihr Kind sexuell missbraucht wurde
    Mütter und Väter machen sich meist große Vorwürfe, wenn sie erfahren, dass ihr Kind zum Opfer sexueller Gewalt wurde. Sie fragen sich, wie sie den Missbrauch hätten erkennen können und warum sie ihrem Kind nicht früher zur Hilfe hatten kommen können. Denn die Täter sind den Eltern meist wohlbekannt: Ungefähr 50 Prozent stammen aus dem emotionalen Nahraum der Familie, sind etwa Freunde der Familie oder Bekannte des Kindes wie zum Beispiel Jugendgruppenleiter oder Sporttrainer. In einem Drittel der Straftaten kommt der Täter sogar direkt aus der Familie, ist vielleicht der Stiefvater, der Onkel oder der leibliche Vater. Und doch ist es für nicht missbrauchende Eltern oft nur schwer möglich, die sexuellen Gewalttaten gegen ihre Kinder vorzeitig zu »erkennen«. Denn die Täterstrategie ist – wie wir im vorigen Kapitel bereits gesehen haben – oft so ausgeklügelt, dass viele Dinge erst im Nachhinein auffällig sind. Wir erinnern uns: Täter oder Täterinnen wollen natürlich auf jeden Fall vermeiden, dass die Eltern von der sexuellen Ausbeutung ihrer Kinder erfahren, und gehen gerade deshalb in der Regel sehr vorsichtig vor. Nicht selten versuchen sie, bei den

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