Schaut nicht weg
begleiten wir Eltern unsere Kinder auch in allen anderen Lebensbereichen: beim Laufenlernen, beim Essenlernen, beim Erlernen der Sprache, bei der Sauberkeitserziehung. Meine Erfahrung ist, dass Kinder heute im Bereich der Sexualaufklärung noch immer zu häufig zu lange alleingelassen werden. Als Leitlinie gilt hier: Wenn Kinder alt genug sind, um zu fragen, sind sie auch alt genug für die Antworten. Die ersten Fragen der Kinder werden oft schon im Alter von zwei bis drei Jahren zu den genitalen Unterschieden von Männern und Frauen gestellt. Später kommen dann Fragen nach dem Ursprung der Babys und Fragen zur Geburt dran. Ab einem Alter von ungefähr acht Jahren beginnen die Kinder, sich für das Thema Empfängnis zu interessieren. Bei der Beantwortung dieser Fragen ist es so wie auch sonst im Leben mit Kindern: Holen die erwachsenenBezugspersonen zu sehr aus, hören die Kinder nur kurz zu und der Rest unserer Ausführungen »rauscht« dann an ihnen vorbei. Manchmal aber hat ein Kind auch Hemmungen, Fragen zum Thema Sexualität zu stellen. Sollte ein Kind bis zu seinem sechsten oder siebten Lebensjahr noch keine Fragen im Bereich der Sexualität gestellt haben, wäre es gut, wenn die Eltern Gesprächsanlässe schaffen könnten, beispielsweise durch Bilderbücher oder ein Gespräch über die schwangere Mutter des Schulfreundes. Steigt das Kind dann immer noch nicht auf das Thema ein, scheint es wirklich noch kein Interesse zu haben. Dann sollte man das Thema ruhen lassen und in ein paar Monaten neue Gesprächsangebote machen.
Was aber heißt denn nun genau »altersangemessene Sexualaufklärung«? Im Hinblick auf die präventive Erziehung bedeutet es, dass Kinder bis zu ihrem dritten Lebensjahr alle Körperteile benennen können sollten – auch ihre Genitalien. In diesem Alter können dabei durchaus noch »familieninterne« Bezeichnungen benutzt werden, die es in zahlreicher und sehr fantasievoller Form gibt, wie Erzieherinnen häufig feststellen. Wenn Jungen und Mädchen jedoch in die Grundschule kommen, sollten sie alle Körperteile mit Begriffen benennen können, die auch für Außenstehende – beispielsweise die pädagogischen Fachkräfte – verständlich sind. Als Hilfestellung gibt es mittlerweile einige gute Bilderbücher, CDs und für ältere Kinder auch Selbstlesebücher zu diesem Zweck. Ein Klassiker ist das comicartige Bilderbuch »Peter, Ida und Minimum« (Fagerström/Hansson), eines der neueren Bilderbücher »Mein erstes Haus war Mamis Bauch« (Blattmann/Schmitz). Ein wunderbares Buch über Zärtlichkeit und Doktorspiele ist auch » Wir können was, was ihr nicht könnt« (Enders/Wolters). Diese Bücher sind vor allem gut, um den Kindern zu vermitteln, dass alle Artenvon Körperteilen benannt werden dürfen. Oft vermitteln wir unseren Kindern nämlich, dass es »zweierlei« Arten von Körperteilen gibt – diejenigen, die benannt werden dürfen und diejenigen, die keine Namen haben und nicht erwähnt werden sollten. Das ist auch gut zu erkennen an dem populären Kindergarten-Singspiel »Mein Hände sind verschwunden«. Bei diesem Spiel lassen die Erzieher mit den Kindern verschiedene Körperteile »verschwinden« und wieder auftauchen. Wenn die Kinder gegen Schluss des Spiels singen: »Mein Po, der ist verschwunden, ich habe keinen Po mehr …«, gibt es meist ein ziemliches Gelächter. Doch die Erzieher kommen nur selten auf die Idee, mit den Kindern in diesem Spiel Körperteile wie den Penis, die Scheide oder die Brustwarzen »verschwinden« zu lassen. Zum einen wäre es ihnen wahrscheinlich peinlich, zum anderen würden sich sicherlich am nächsten Tag die Hälfte der Eltern beschweren. Es beweist jedoch, dass wir unseren Kindern schon früh vermitteln, dass unsere Genitalien eigentlich nicht erwähnt werden dürfen. Aber genau an diesen werden die Kinder bei sexuellem Missbrauch berührt. Das Fehlen von Worten und das Fehlen der Erlaubnis, über diese Körperteile zu sprechen macht es den betroffenen Kindern also noch schwerer, sich Hilfe zu holen.
»Mein Körper gehört mir!«: Grenzen aufzeigen erlaubt
Eng verbunden mit dem Thema Sexualaufklärung ist die Präventionsbotschaft »Mein Körper gehört mir!« Damit wird den Kindern vermittelt, dass sie das Recht haben, Berührungen abzulehnen – auch wenn diese von der Lehrerin, dem Opa, dem Pfarrer, dem Schulrektor, dem Vorgesetzten der Mutter und so weiter und so fort kommen. Kinder, die sich dessen bewusst sind, werden viel früher merken,
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