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Schaut nicht weg

Schaut nicht weg

Titel: Schaut nicht weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Zu Guttenberg
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gehört haben. Nein, wir haben noch ganz, ganz viele nicht gehört.« Sie kann außerdem 14 Täter benennen, davon zwölf Patres. Nach einer Sichtung der Gesamtsituation muss BischofAckermann bekennen, dass die katholische Kirche in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten weder die Opfer zu schützen noch die Täter zu bestrafen vermocht hatte – wie es auch bei der katholischen Kirche in Irland und den USA der Fall gewesen war, die ebenfalls in den letzten Jahren von Missbrauchsskandalen ungeahnten Ausmaßes erschüttert worden war. »Da wo kein wirklicher Aufklärungswille vorhanden war und Täter einfach nur versetzt wurden, müssen wir in einer ganzen Reihe von Fällen gestehen, dass vertuscht worden ist«, schlussfolgert Ackermann. Nun müsse untersucht werden, wie es dazu hätte kommen können und was nun getan werden solle. Auch Rektor Mertes des Canisius-Kollegs nimmt die Vorgänge zum Anlass, Fragen zu formulieren, die seine Schule und Glaubensgenossen in aller Welt weiter beschäftigen werden: »Die Missbrauchsfälle – nicht nur hier, sondern auch die der vergangenen Jahre – stellen eine schwergewichtige Frage an die katholische Kirche«, sagt Mertes. »Nämlich, ob sie Missbräuche erst möglich machte, durch ihre Kultur, durch ihr System.«
    Doch überraschen uns diese vielen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche wirklich? Haben wir nicht schon immer geahnt, dass es unter dem klerikalen Mantel des Schweigens in der katholischen Kirche eine große Zahl sexueller Übergriffe auf Kinder und Jugendliche gab, durch Priester, Kaplane, Diakone? Haben wir nicht schon immer gewusst, dass gerade die Machtstrukturen der katholischen Kirche und deren teils weltfremde Sexualmoral den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch einzelne Täter erst begünstigten? Mich zumindest überrascht das alles überhaupt nicht. Dass es sowas gab, darüber wurde doch schon immer geredet – nur bislang eben hinter vorgehaltener Hand. Auch in meinem Bekanntenkreis weiß ichvon einem Mann, der als Jugendlicher mit seiner Clique bei einem sehr beliebten Kaplan ein- und ausging. Sogar Pornos durften die Jungen bei diesem »väterlichen Freund« schauen. Erst Jahrzehnte später erzählten die längst erwachsenen Freunde einander, dass zwei von ihnen in dieser Zeit vom Kaplan sexuell missbraucht wurden, auf gemeinsamen Freizeitfahrten und auch beim Kaplan zu Hause. Und dennoch: Die katholische Kirche als exklusiven Hort von Päderasten zu sehen ist gleichermaßen unfair – unfair den vielen engagierten Priestern, Diakonen, ehrenamtlichen Mitarbeitern, Ordensbrüdern und Ordensschwestern gegenüber, die ihre Kinder stets respektvoll behandelten. Ich selbst habe ein katholisches Mädchengymnasium in München besucht und dort nur gute Erfahrungen gemacht. Gerüchte über Missbrauch sind mir bis heute nicht zu Ohren gekommen. Und auch meine Töchter gehen heute auf eine katholische Grundschule, mit der ich sehr zufrieden bin. Zudem wissen wir, dass der Großteil aller sexuellen Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche noch immer in den Familien stattfindet. Sexueller Missbrauch ist also nicht automatisch ein Problem von Lebenswegen und religiöser Ausrichtung – schließlich ist die Masse aller Täter nicht dem Zölibat unterlegen. Dennoch müssen wir uns der Frage stellen: Wie kommt es, dass in katholischen Institutionen solch eine Häufung von Missbrauchsfällen zu beobachten ist?
»Ist der Zölibat schuld?«: Die katholische Kirche im Kreuzverhör
    Zum einen wissen wir, dass Täter die Nähe zu Kindern suchen und sich oftmals dort engagieren, wo eben die Möglichkeit dieser Nähe besteht. Und in dieser Hinsicht sind katholische Institutionen geeignet: Pfarrhäuser, Internate oderSchulen sind Orte, an denen Täter eine intensive Bindung zu Kindern aufnehmen können, und Orte, an denen sie häufig noch Rückendeckung durch den Vertrauensvorschub der Eltern erhalten (»Der X ist ja ein guter Christ«). Aber wir machen es uns wohl zu einfach, wenn wir glauben, dass sich diese vielen Täter lediglich »von außerhalb« der katholischen Kirche näherten. Im Gegenteil: Wir müssen uns fragen, ob nicht auch die Institution Katholische Kirche selbst – durch den Zölibat, die spezielle Sexualmoral und die Vertuschung der Taten – eine indirekte Mitschuld an diesen vielen Grenzüberschreitungen trägt. Doch diese Debatte wird erst seit Kurzem innerhalb der katholischen Kirche geführt. Noch im Februar behauptete der

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