Scheherazade macht Geschichten
wir gerade jetzt an jener Stelle in der Geschichte gelangt sind, wo eine Überraschung auf die andere folgt und die Spannung sich um das Zehnfache steigert. So kommt also, mein Herr und Gebieter, und tut, was Ihr tun müßt!«
»Was muß ich denn tun?« fragte der König, doch so langsam dämmerte ihm die Erkenntnis. »Ah. Du meinst bestimmt die Sache mit dem Schwert. Aber wie könnte ich denn eine solch schreckliche Waffe auf einen solch zierlichen Nacken herabsausen lassen, wo du doch gerade erst den Höhepunkt deiner Geschichte erreichst. Ganz abgesehen einmal von all den anderen Höhepunkten, die deine Gegenwart mir bereitet.«
»Wie es meinem Herrn und Gebieter beliebt«, erwiderte Scheherazade.
»Nun, wohin ist dieses Schwert eigentlich verschwunden?« wollte Shahryar wissen. »Ah, da ist es ja. Unter diesem Schafsfell da. Nein, für jetzt soll es in seiner Scheide stecken bleiben. Wir werden uns wiedersehen und noch eine wundervolle Nacht miteinander verbringen. Hoppla!«
Und bei diesem letzten Ausruf fiel dem König das Schwert aus den Fingern, rutschte aus der Scheide und fiel klappernd auf den Boden, wo es von seinem eigenen Schwung vorwärtsgetragen zu werden schien und wirbelnd über den Boden auf Scheherazade zuglitt. Das Ganze geschah mit einer solchen Geschwindigkeit, daß die Geschichtenerzählerin, die mit ihren Füßen genauso schnell war wie mit ihrer Zunge, Mühe hatte, ihm auszuweichen.
»Wie ungeschickt von mir«, meinte der König. »Könnten sich da die ersten Anzeichen von Erschöpfung bei mir einstellen? Irgendwann werde ich nachts auch wieder einmal schlafen müssen.«
Doch Scheherazade ließ sich so leicht nicht beruhigen. Ihr sah die Sache mit dem Schwert nicht im geringsten wie ein Unfall aus. Im Gegenteil, das Schwert beziehungsweise die unsichtbare Hand, die es geführt hatte, schien eine ganz bestimmte Absicht verfolgt zu haben.
Und diese Absicht bestand eindeutig darin, Scheherazade den Tod zu bringen.
Das 7 der 35 Kapitel,
in dem das Leben weniger vorhersagbar wird als die Geschichten der Geschichtenerzählerin.
»Was bereitet dir Sorgen, o Schwester?« fragte Dunyazad, als sie wieder allein mit Scheherazade in ihren Gemächern im Harem war.
»Ich bin von Allah mit einer übersprudelnden Phantasie gesegnet worden«, lautete Scheherazades wohlüberlegte Antwort, »und es ist eine Gabe, die mir in den letzten Tagen sehr zustatten kam. Und dennoch: Eben diese Gabe ist es, die es mir manchmal schwer macht, zwischen Einbildung und Wirklichkeit zu unterscheiden. Oft bin ich mir unsicher, was gewisse Ereignisse zu bedeuten haben. Und so geht es mir auch mit dieser Umgebung hier. Verschiedene Sachen bereiten mir Sorge, o Schwester. Denke nur an jene geheimnisvolle Frau, die so plötzlich aufgetaucht ist, nur um spurlos wieder zu verschwinden. Denk an des Königs Mißgeschick mit seinem Schwert oder auch nur an das bedeutungsschwangere Schweigen Omars.« Die Geschichtenerzählerin konnte einen leichten Schauder nicht unterdrücken. »Vielleicht ist es etwas voreilig, all diese Geschehnisse miteinander in Verbindung zu bringen, doch hege ich den starken Verdacht, daß keines von ihnen auf eine besonders rosige Zukunft für uns beide hindeutet.«
»Ach, so schlimm können die Dinge doch gar nicht stehen«, erwiderte Dunyazad und versuchte so beruhigend wie möglich zu klingen. »Du bist immerhin die Frau des Königs und damit die bedeutendste Frau im ganzen Königreich. Du bist nur dem König verpflichtet, und alle seine Untertanen sollten streng darauf achten, daß sie nichts unternehmen, was dich von dieser Verpflichtung trennen könnte.«
Scheherazade schenkte ihr ein schiefes Lächeln, das sehr viel echter gewirkt hätte, wenn etwas mehr Humor dahintergesteckt hätte. Sie fragte: »Du meinst, so, wie ein Schwert meinen Kopf von meinen Schultern trennen könnte?«
»Nun ja, zugegeben«, erwiderte Dunyazad mit einem Stirnrunzeln. »Aber das ist sicher nur ein Ausnahmefall.«
»Die anderen werden mich also nicht umbringen, weil sie den Zorn des Königs fürchten, wenn er es nicht selbst tun kann?« überlegte Scheherazade weiter.
Dunyazad öffnete schon ihren Mund, um etwas zu sagen, doch dann schloß sie ihn wieder und versank in Gedanken. Ihr Mund öffnete sich ein zweites Mal, doch noch immer wollte sich kein Wort über ihre Lippen stehlen. Sie atmete tief ein und meinte schließlich: »Es kann nicht so schlimm sein, wie es auf den ersten Blick vielleicht aussehen
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