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Scheherazade macht Geschichten

Titel: Scheherazade macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Shaw Gardner
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zu, sich die Geschichte jenes seltsamen Jünglings anzuhören, die erklären sollte, warum dieser halb aus Fleisch und halb aus Marmor bestand und wieso die bunten Fische in jenem See sich nicht kochen lassen wollten.
    ›Ich bin froh, daß Ihr Euch so entschieden habt‹, meinte der junge Mann, ›denn mit einem Unterleib aus Marmor sind die Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben, doch recht eingeschränkt.‹ Und dann begann der Jüngling mit seiner Geschichte:
     
    DIE GESCHICHTE
    VOM JUNGEN MANN
    UND DEN FISCHEN
     
    So wisse denn, daß dies einst ein mächtiges Königreich war, in dem mein Vater mit weiser Hand herrschte, bis er siebzig Jahre alt wurde. Ich war sein Sohn und sein Prinz, und als meines Vaters unsterbliche Seele zu Allah dem Allmächtigen gerufen wurde, da bestieg ich den Thron.
    Und so kam es, daß ich meine Base heiratete, die Tochter meines Oheims, und eine ganze Zeitlang lebten wir glücklich und zufrieden – bis zu jenem Abend, an dem meine Frau zu einem Besuch bei ihrer Schwester aufbrach.
    In dieser Nacht schlief ich alleine. Nur zwei Sklavinnen waren bei mir, von denen eine meinem Kopf Luft zufächelte, während die andere sich um meine Füße kümmerte. Doch mußte ich feststellen, daß ich ohne meine Frau nicht so leicht einschlafen konnte wie sonst. Und so kam es, daß ich wach, aber mit geschlossenen Augen dalag und die beiden Sklavinnen nach einer gewissen Zeit wohl annahmen, daß ich eingeschlafen war, denn sie begannen sich auf einmal leise zu unterhalten.
    ›Ach, es ist wirklich eine Schande mit dem König‹, sagte eine.
    ›Dabei ist es so offensichtlich‹, sagte die andere. ›Wie kann es sein, daß er noch nichts gemerkt hat?‹
    ›Nur, weil er so unschuldig und reinen Herzens ist und niemals über andere etwas Böses denkt‹, antwortete die erste Sklavin.
    ›Aber seiner Frau ist die Lüsternheit doch in jeder Bewegung anzumerken!‹ beharrte die andere.
    ›Es ist wahr, daß sie zu den liederlichsten Frauen gehört‹, stimmte die erste zu. ›Aber sie benimmt sich ja nur so, wenn ihr Ehemann schläft.‹
    ›Und ihr Ehemann schläft oft und lange.‹
    ›Was nicht nur natürliche Ursachen hat. Denn soviel ich weiß, verabreicht seine Frau ihm jeden Abend einen Kräutertrank, der ihn in einen tiefen, friedlichen Schlaf versetzt. Und dann zieht sie sich ihre besten Gewänder an und schleicht sich aus dem Palast, um es mit dem halben Königreich zu treiben .‹
    ›Und der König hegt keinen Verdacht?‹
    ›Wie sollte er, wo er doch so lange schläft, bis das lose Weib zurückkehrt? Und wenn sie wieder da ist, hält sie ihm ein anderes Gebräu unter die Nase, das ihn erfrischt und ausgeruht aufwachen läßt.‹
    ›Oh, sie ist mit Sicherheit die liederlichste aller Frauen!‹
    ›Und es ist eine Schande, daß niemand es wagt, den König darauf hinzuweisen.‹
    Daraufhin verfielen die beiden Frauen in brütendes Schweigen, und ich spürte nur noch den angenehmen Luftzug ihrer Fächer. Schließlich sank ich in einen leichten und unruhigen Schlaf. Die Rückschlüsse, die ich aus dieser Unterhaltung ziehen mußte, waren so eindeutig wie die Tatsache, daß jeder Nacht ein neuer Tag folgt. Es war, wie das so oft in diesen Geschichten der Fall ist: Meine Frau war eine Ehebrecherin!‹
    AN DIESER STELLE UNTERBRICHT
    KÖNIG SHAHRYAR DIE GESCHICHTE
     
    »Ehebrecherin?« rief der König mit lauter Stimme und begann heftig zu zucken.
    Bei Allah, dachte Scheherazade. Vielleicht war es unklug gewesen, ausgerechnet diese Geschichte zu erzählen.
    »Lanzen? Reiten? Kissen? Siegelringe?« fuhr der König fort und ruderte mit den Armen wild in der Luft herum.
    »Nein«, schrie er noch lauter, »Schwerter!« Und augenblicklich wurde Shahryar vollkommen still, seine Zuckungen waren verschwunden. Eine drückende Stille herrschte, und nichts bewegte sich, bis der König kurz darauf ganz beiläufig meinte: »Ganz sicher Schwerter!«
    Scheherazade starrte ihren Ehemann sehr lange an, denn das Schauspiel, das er ihr soeben geboten hatte, ließ sogar eine so versierte Geschichtenerzählerin, wie sie es war, sprachlos werden. Ihr war schon vorher klar gewesen, daß der König gegen schwärzeste Magie zu kämpfen hatte; dunkle Zaubersprüche, die ihn einerseits nahezu den Verstand verlieren ließen, sobald jemand eine zweideutige Bemerkung machte, die ihn andererseits jedoch gleichzeitig mit einer wilden Sehnsucht erfüllte, sein Schwert mit Blut zu tränken. Zuerst hatte Scheherazade

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