Scheintot
ist, wenn er gar nicht verrückt war?«
Sie verstummten, als die Bedienung wieder mit der Kaffeekanne auftauchte. »Schmeckt Ihnen unser Apple Crisp nicht, Detective?«, fragte sie, als sie sah, dass Jane ihr Dessert kaum angerührt hatte.
»Doch, ganz hervorragend. Aber ich bin wohl doch nicht so hungrig, wie ich dachte.«
»Tja, irgendwie scheint niemand Appetit zu haben«, meinte die Bedienung, als sie sich über den Tisch beugte, um Gabriel Kaffee nachzuschenken. »Sind alles nur Kaffeetrinker, die heute Nachmittag hier sitzen.«
Gabriel blickte auf. »Wer denn noch außer uns?«, fragte er.
»Na, der Mann dort …« Die Kellnerin brach ab und betrachtete stirnrunzelnd einen leeren Tisch ganz in der Nähe. Sie zuckte mit den Achseln. »Na, dem hat wohl der Kaffee nicht geschmeckt«, sagte sie und ging.
»Okay«, sagte Jane leise. »Langsam wird mir die Sache unheimlich, Leute.«
Moore raffte eilig die Mappen zusammen und steckte sie in einen großen Umschlag. »Wir sollten gehen«, sagte er.
Sie verließen JP Doyle’s Bar und traten in die grelle Hitze des Nachmittags hinaus. Auf dem Parkplatz blieben sie alle drei vor Moores Wagen stehen und ließen ihre Blicke über die Straße und die in der Nähe abgestellten Fahrzeuge schweifen. Wir sind vielleicht Helden, dachte sie – zwei Cops und ein FBI-Agent, und alle drei werden wir plötzlich ganz kribblig, alle drei kundschaften wir instinktiv die Umgebung aus.
»Und was nun?«, fragte Jane.
»Was das Boston PD betrifft, heißt es erst mal ›Finger weg‹. Ich habe Anweisung, einen großen Bogen um diese Sache zu machen.«
»Und diese Akten?« Sie blickte auf den Umschlag, den Moore unterm Arm trug.
»Die dürfte ich eigentlich gar nicht haben.«
»Na ja, ich bin ja noch im Mutterschaftsurlaub.
Mir
hat niemand irgendwelche Anweisungen erteilt.« Sie nahm Moore den Umschlag ab.
»Jane«, sagte Gabriel.
Sie wandte sich zu ihrem Subaru um. »Wir sehen uns dann zu Hause.«
»
Jane.
«
Als sie sich ans Steuer setzte, riss Gabriel die Beifahrertür auf und stieg neben ihr ein. »Du weißt ja nicht, worauf du dich da einlässt«, sagte er.
»Weißt du es denn?«
»Du hast gesehen, was mit den Händen dieser Frau geschehen ist. Daran erkennst du, mit was für Typen wir es hier zu tun haben.«
Sie starrte aus dem Fenster, sah zu, wie Moore in seinen Wagen stieg und davonfuhr. »Ich dachte, es wäre vorbei«, sagte sie leise. »Ich dachte: Okay, wir haben es heil überstanden, und jetzt leben wir einfach unser Leben weiter. Aber es ist nicht vorbei.« Endlich sah sie ihn an. »Ich muss wissen, warum das alles passiert ist. Ich muss wissen, was es bedeutet.«
»Überlass mir die Nachforschungen. Ich werde sehen, was ich herausfinden kann.«
»Und was soll ich tun?«
»Du bist doch gerade erst aus dem Krankenhaus gekommen.«
Sie steckte den Schlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor an, worauf ein Schwall heißer Luft aus den Lüftungsschlitzen strömte. »Ich hatte doch keine komplizierte Operation«, sagte sie. »Ich habe ein Kind gekriegt, das ist alles.«
»Grund genug, dich aus dieser Sache herauszuhalten.«
»Aber
das
ist es doch, was mich so beschäftigt, Gabriel.
Das
ist der Grund, weshalb ich nicht schlafen kann!« Sie sank in den Sitz zurück. »Das ist der Grund, weshalb die Albträume nicht aufhören wollen.«
»Es braucht seine Zeit.«
»Ich muss unentwegt daran denken.« Wieder schweifte ihr Blick über den Parkplatz. »Und nach und nach fallen mir immer mehr Einzelheiten ein.«
»Welche Einzelheiten?«
»Ein Hämmern an der Tür. Schreie, Schüsse. Und dann das Blut in meinem Gesicht…«
»Das ist der Traum, von dem du mir erzählt hast.«
»Und den träume ich immer wieder!«
»Natürlich hat es diese Geräusche und Schreie gegeben. Und da
war
auch Blut in deinem Gesicht – Olenas Blut. Nichts von dem, woran du dich erinnerst, ist in irgendeiner Weise überraschend.«
»Aber da ist noch etwas anderes. Ich habe dir noch nicht davon erzählt, weil ich Mühe hatte, mich zu erinnern. Kurz bevor Olena starb, hat sie versucht, mir etwas zu sagen.«
»Was wollte sie dir sagen?«
Sie sah Gabriel an. »Sie hat einen Namen genannt. Mila. Sie sagte: ›Mila weiß Bescheid.‹«
»Was soll das heißen?«
»Ich weiß es nicht.«
Gabriels Blick schwenkte plötzlich zur Straße. Er folgte einem Wagen, der im Schritttempo an ihnen vorbeifuhr, um die Ecke bog und verschwand.
»Warum fährst du nicht nach Hause?«, fragte
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