Scheintot
verachtete kleine Schwester.
Ein Mädchen.
Du bist immer noch nicht gut genug, um mit den Jungs spielen zu dürfen, und du wirst es auch nie sein.«
Jane starrte ihn nur stumm an. Sie nahm es ihm übel, dass er sie so gut kannte. Ärgerte sich über die Zielgenauigkeit, mit der er so exakt ihre empfindlichste Stelle getroffen hatte.
»Jane.« Er streckte die Hand nach ihr aus, und bevor sie ihre zurückziehen konnte, hatte er sie ergriffen und schien sie nicht wieder loslassen zu wollen. »Du musst dich weder vor mir noch vor Frankie noch vor sonst irgendwem beweisen. Ich weiß, es ist nicht leicht für dich im Moment, aber ehe du dich’s versiehst, wirst du schon wieder im Dienst sein. Also gönne deinem Adrenalin mal eine Ruhepause. Gönne
mir
eine Ruhepause. Lass es mich einfach nur eine Weile genießen, dass ich meine Frau und meine Tochter sicher bei mir zu Hause habe.«
Er hatte sie noch immer nicht losgelassen. Jane blickte auf seine Hand, die ihre eigene umfasste, und dachte: Dieser Mann wankt und weicht nicht von der Stelle. Ganz gleich, wie sehr ich ihm zusetze, er ist immer für mich da. Ob ich es verdient habe oder nicht. Langsam verschränkten sich ihre Finger in einem wortlosen Friedensschluss.
Das Telefon klingelte.
Regina greinte.
»Tja.« Gabriel seufzte. »Die Ruhepause war nicht von langer Dauer.« Kopfschüttelnd stand er auf und ging ans Telefon. Jane wollte Regina eben aus der Küche tragen, als sie Gabriel sagen hörte: »Du hast Recht. Das sollten wir nicht am Telefon besprechen.«
Sofort war sie hellwach und fuhr herum, um in seiner Miene nach dem Grund zu forschen, weshalb er so plötzlich die Stimme gesenkt hatte. Doch er stand mit dem Gesicht zur Wand, und sie sah nur seine angespannten Nackenmuskeln.
»Wir warten auf dich«, sagte er und legte auf.
»Wer war das?«
»Maura. Sie ist auf dem Weg hierher.«
31
Maura kam nicht allein. Neben ihr auf dem Flur stand ein attraktiver Mann mit dunklem Haar und einem gepflegten Bart. »Das ist Peter Lukas«, sagte sie.
Jane warf Maura einen ungläubigen Blick zu. »Du hast einen Reporter mitgebracht?«
»Wir brauchen ihn, Jane.«
»Seit wann brauchen wir die Hilfe von Reportern?«
Lukas winkte ihnen freundlich zu. »Freut mich, Sie kennen zu lernen, Detective Rizzoli. Hallo, Agent Dean. Dürfen wir reinkommen?«
»Nein, lassen Sie uns woanders miteinander reden«, erwiderte Gabriel und trat mit Jane, die Regina auf dem Arm trug, hinaus auf den Flur.
»Wo gehen wir hin?«, fragte Lukas.
»Folgen Sie mir.«
Gabriel führte sie zwei Treppen hinauf und durch eine Tür hinaus auf das Dach des Wohnblocks. Hier hatten die Hausbewohner mit Topfpflanzen einen üppigen Garten angelegt. In der Hitze des Großstadtsommers jedoch, die von den Asphaltfliesen auch noch gespeichert und abgestrahlt wurde, begann diese kleine Oase schon zu verwelken. Die Tomatenpflanzen verkümmerten in ihren Töpfen, und die Ranken der Winden, deren Blätter in der sengenden Hitze braun geworden waren, klammerten sich wie verdorrte Finger an das Spalier. Jane setzte Regina in ihr Stühlchen im Schatten des Sonnenschirms, und das Baby, dessen Wangen rosig glühten, schlief prompt ein. Von hier oben konnten sie andere Dachgärten sehen, weitere willkommene grüne Oasen in der Betonwüste.
Lukas legte eine Mappe auf den Tisch neben das schlummernde Baby. »Dr. Isles dachte, das würde Sie vielleicht interessieren.«
Gabriel schlug die Mappe auf. Sie enthielt einen Zeitungsausschnitt mit dem Foto eines lächelnden Mannes und der Überschrift:
Leichenfund an Bord von Yacht. Geschäftsmann wurde seit 2. Januar vermisst.
»Wer war Charles Desmond?«, fragte Gabriel.
»Ein Mann, den nur wenige wirklich kannten«, antwortete Lukas. »Allein das hat schon mein Interesse geweckt. Das war ursprünglich der Grund, weshalb ich mich mit der Story beschäftigt habe. Auch wenn der Gerichtsmediziner als Todesursache praktischerweise Selbstmord erkannte.«
»Sie zweifeln diese Einschätzung an?«
»Es lässt sich unmöglich nachweisen, dass es kein Selbstmord war. Desmond wurde im Bad seiner Motoryacht gefunden, die in einem Hafen am Potomac lag. Er starb in der Wanne, die Pulsadern an beiden Handgelenken waren aufgeschlitzt, und in der Kabine lag ein Abschiedsbrief. Als sie Desmond fanden, war er schon ungefähr zehn Tage tot. Von der Gerichtsmedizin wurden keinerlei Fotos veröffentlicht, aber Sie können sich denken, dass die Obduktion nicht gerade das reinste Vergnügen
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