Scheintot
war.«
Jane verzog das Gesicht. »Das stelle ich mir lieber nicht so genau vor.«
»Der Abschiedsbrief, den er hinterließ, war nicht sonderlich erhellend.
Ich bin deprimiert, das Leben ist beschissen, ich halte es keinen Tag länger aus.
Es war bekannt, dass Desmond ein starker Trinker war, und er war seit fünf Jahren geschieden. Es war also keineswegs abwegig anzunehmen, dass er unter Depressionen gelitten hatte. Alles sehr überzeugende Argumente für die Selbstmordthese, finden Sie nicht?«
»Aber Sie klingen nicht überzeugt. Wieso?«
»Ich spüre dieses gewisse Kribbeln. Mein sechster Reportersinn sagt mir, dass da etwas ganz anderes dahintersteckt, etwas, das zu einer noch viel größeren Story führen könnte. Ein reicher Typ, Yachtbesitzer, und er bleibt zehn Tage lang verschwunden, ehe irgendwer auf die Idee kommt, nach ihm zu suchen. Das genaue Datum konnten sie nur deswegen ermitteln, weil sein Wagen auf dem Parkplatz des Yachthafens stand und der Stempel auf dem Parkschein auf den zweiten Januar lautete. Seine Nachbarn sagen, er sei so oft im Ausland unterwegs gewesen, dass sie sich nichts dabei gedacht hätten, wenn sie ihn einmal eine Woche lang gar nicht sahen.«
»Im Ausland?«, fragte Jane. »Wieso?«
»Das konnte mir niemand sagen.«
»Oder wollte man es Ihnen nicht sagen?«
Lukas lächelte. »Sie sind ja ganz schön misstrauisch, Detective. Aber ich auch. Das hat mich nur noch neugieriger gemacht. Ich habe mich gefragt, ob hinter diesem Desmond-Fall nicht noch mehr steckt. Wissen Sie, genauso hat nämlich die Watergate-Affäre angefangen. Ein Allerweltseinbruch, der über Nacht zu einer ganz, ganz großen Sache wurde.«
»Und was ist das Große an dieser Story?«
»Wer dieser Typ war. Dieser Charles Desmond.«
Jane betrachtete das Foto von Desmonds Gesicht. Er lächelte freundlich, seine Krawatte war akkurat gebunden. Ein Foto, wie man es im Geschäftsbericht einer x-beliebigen Firma finden mochte. Ganz der erfolgreiche Manager, die personifizierte Kompetenz.
»Je mehr Fragen ich über ihn stellte, desto mehr interessante Einzelheiten kamen ans Licht. Charles Desmond hatte nie ein College besucht. Er diente zwanzig Jahre lang in der Army, wurde vorwiegend beim Militärgeheimdienst eingesetzt. Fünf Jahre nach seiner Entlassung aus der Army hatte er plötzlich eine tolle Yacht und ein großes Haus in Reston. Und da muss man doch die nahe liegende Frage stellen: Was hat er getan, um zu so einem fetten Bankkonto zu kommen?«
»In Ihrem Artikel schreiben Sie, er habe bei einem Unternehmen namens Pyramid Services gearbeitet«, sagte Jane.
»Was ist das für eine Firma?«
»Das habe ich mich auch gefragt. Habe eine Weile gebraucht, um die Info auszugraben, aber ein paar Tage später fand ich heraus, dass Pyramid Services die Tochtergesellschaft eines Konzerns ist – dreimal dürfen Sie raten, wie er heißt.«
»Sagen Sie nichts«, entgegnete Jane. »Ballentree.«
»Erraten, Detective.«
Jane sah Gabriel an. »Der Name taucht immer wieder auf, nicht wahr?«
»Und sehen Sie sich mal das Datum seines Verschwindens an«, sagte Maura. »Das ist mir sofort aufgefallen. Der zweite Januar.«
»Einen Tag vor dem Massaker von Ashburn.«
»Ein interessanter Zufall, finden Sie nicht?«
»Erzählen Sie uns mehr über Pyramid«, forderte Gabriel den Journalisten auf.
Lukas nickte. »Es handelt sich um eine Abteilung von Ballentree, die auf Transport und Sicherheit spezialisiert ist, ein Teil der Dienstleistungen, die das Unternehmen in Kriegsgebieten anbietet. Was immer unsere Truppen im Ausland brauchen – Bodyguards, Geleitschutz für Transporte, private Polizeieinheiten –, Ballentree kann es liefern. Sie arbeiten auch in Weltgegenden, wo es keine funktionierende Regierung gibt.«
»Kriegsgewinnler«, meinte Jane.
»Nun ja, warum auch nicht? Im Krieg lassen sich immer gute Profite machen. Während des Kosovo-Konflikts haben Ballentrees Privatsoldaten dort unten Bautrupps beschützt. Jetzt stellen sie private Polizeikräfte in Kabul, in Bagdad und in Orten rings um das Kaspische Meer. Alles mit amerikanischen Steuergeldern bezahlt. So hat Charles Desmond seine Yacht finanziert.«
»Mist, ich arbeite wohl bei der falschen Polizeitruppe«, sagte Jane. »Vielleicht sollte ich mich mal nach Kabul schicken lassen, dann könnte ich mir auch eine Yacht leisten.«
»Für diese Leute willst du bestimmt nicht arbeiten, Jane«, sagte Maura. »Nicht, wenn du hörst, um was es bei deren
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