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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sie das Ausgangsschild und riss die Tür auf, ein paar sorgfältig ausgewählte Worte schon auf den Lippen. Auf den ersten Blick erfasste sie die Situation im Wartezimmer noch nicht richtig. Mr. Bodine war immer noch an seinen Rollstuhl geschnallt, der in einer Ecke stand. Die Ultraschallassistentin und die Frau vom Empfang saßen dicht aneinander gedrängt auf einer Couch. Auf der anderen saß Dr. Tam neben dem farbigen Pfleger. Was war das – ein Kaffeekränzchen? Wieso hatte die Ärztin es sich hier auf der Couch gemütlich gemacht, während ihre Patientin vergessen in einem Untersuchungsraum lag?
    Dann sah sie das Krankenblatt, das auf dem Boden lag, sah die umgekippte Tasse, die Flecken von verschüttetem Kaffee auf dem Teppichboden. Und sie erkannte, dass Dr. Tam nicht etwa gemütlich auf der Couch fläzte; ihr Rückgrat war stocksteif, ihre Gesichtsmuskeln vor Angst angespannt. Und ihre Augen waren nicht auf Jane gerichtet, sondern auf etwas anderes.
    Und da begriff Jane endlich.
Jemand steht direkt hinter mir.

7
    Maura saß in der mobilen Einsatzzentrale, umgeben von Telefonen, Fernsehbildschirmen und Laptops. Die Klimaanlage funktionierte nicht richtig, und im Inneren des Containers musste es weit über dreißig Grad heiß sein. Officer Emerton, der das quäkende Funkgerät überwachte, wedelte sich frische Luft zu, während er gierig aus einer Wasserflasche trank. Doch Captain Hayder, der das Sondereinsatzkommando des Boston PD befehligte, wirkte vollkommen cool, während er die CAD-Diagramme auf dem Computermonitor studierte. Neben ihm saß der Gebäudemanager der Klinik und erklärte ihm die relevanten Details des Bauplans.
    »Der Bereich, in dem sie sich momentan verschanzt hat, ist die Bilddiagnostik«, sagte der Manager. »Früher war in dem Flügel die Röntgenabteilung untergebracht, die aber inzwischen in den neuen Anbau umgezogen ist. Ich fürchte, das bedeutet ein ziemliches Problem für Sie, Captain.«
    »Welches Problem?«, fragte Hayder.
    »In die Außenwände sind Strahlenschutzplatten aus Blei eingelassen, und der ganze Flügel hat weder Außenfenster noch -türen. Da werden Sie kaum ein Loch reinsprengen können, und Sie können auch keine Tränengasbehälter hineinwerfen.«
    »Und der einzige Zugang zur Bilddiagnostik ist durch diese innere Flurtür?«
    »Richtig.« Der Gebäudemanager sah Hayder an. »Ich nehme an, sie hat diese Tür abgeschlossen?«
    Hayder nickte. »Was bedeutet, dass sie sich selbst dort eingesperrt hat und in der Falle sitzt. Wir haben unsere Männer ans andere Ende des Flurs zurückgezogen, damit sie nicht direkt in der Schusslinie stehen, falls sie auf die Idee kommt, einen Ausbruchsversuch zu wagen.«
    »Sie steckt in einer Sackgasse. Wenn sie da rauswill, muss sie an Ihren Leuten vorbei. Vorläufig kann sie Ihnen also nicht entwischen. Aber umgekehrt dürfte es Ihnen auch schwer fallen, zu ihr vorzudringen.«
    »Wir haben also eine Pattsituation.«
    Der Manager vergrößerte mit einem Mausklick einen Ausschnitt des Grundrisses. »Nun ja, hier gäbe es eine Möglichkeit; es kommt nur darauf an, in welchem Teil des Flügels sie sich versteckt hält. Die Bleiplatten finden sich in allen diesen Untersuchungsräumen. Aber hier im Wartezimmer sind Wände und Decke nicht verstärkt.«
    »Mit welchen Baumaterialien haben wir es da zu tun?«
    »Trockenbauwände aus Gipskarton. Sie könnten ohne weiteres vom Stockwerk drüber ein Loch durch die Decke bohren.« Der Gebäudemanager sah Hayder an. »Aber dann muss sie sich nur in die Bereiche zurückziehen, die mit Bleiplatten geschützt sind, und schon können Sie ihr nichts mehr anhaben.«
    »Verzeihung«, warf Maura ein.
    Hayder drehte sich zu ihr um. Seine blauen Augen fixierten sie gereizt. »Ja?«
    »Kann ich jetzt gehen, Captain Hayder? Ich kann Ihnen ohnehin nicht mehr sagen.«
    »Noch nicht.«
    »Wie lange noch?«
    »Sie werden hier warten müssen, bis unser Unterhändler Sie vernehmen kann. Er will, dass wir alle Zeugen hier behalten.«
    »Ich bin gerne bereit, mit ihm zu sprechen, aber es gibt keinen Grund, weshalb ich hier drin warten muss. Mein Büro ist in dem Gebäude direkt gegenüber. Sie wissen, wo Sie mich finden.«
    »Das ist nicht nahe genug, Dr. Isles. Wir müssen Sie im Auge behalten.« Hayder wandte seine Aufmerksamkeit schon wieder den CAD-Plänen zu; ihre Proteste ließen ihn offenbar kalt. »Die Ereignisse könnten sich jeden Moment überstürzen, und dann dürfen wir keine Zeit damit

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