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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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verschwenden, nach Zeugen zu suchen, die sich aus dem Staub gemacht haben.«
    »Ich werde mich nicht aus dem Staub machen. Und ich bin nicht die einzige Zeugin. Da waren auch noch die Schwestern, die sich um sie gekümmert haben.«
    »Die haben wir ebenfalls isoliert. Wir werden Sie alle befragen.«
    »Und dann war da noch dieser Arzt in ihrem Zimmer. Er war dabei, als es passierte.«
    »Captain Hayder?«, sagte Emerton und blickte vom Funkgerät zu ihnen herüber. »Die unteren vier Stockwerke sind jetzt evakuiert. Die schwer kranken Patienten in den oberen Etagen können nicht verlegt werden, aber wir haben alles Personal, das nicht unbedingt gebraucht wird, aus dem Gebäude geschafft.«
    »Was ist mit unseren Sperrlinien?«
    »Die innere steht inzwischen. Sie haben im Flur Barrikaden errichtet. Wir warten noch auf zusätzliches Personal, um die äußere Absperrung verstärken zu können.«
    Im Fernseher über Hayders Kopf lief ohne Ton ein Bostoner Lokalsender. Es war eine Livesendung, und die Bilder waren schockierend vertraut. Das ist die Albany Street, dachte Maura. Und da ist die mobile Einsatzzentrale, in der ich in diesem Moment gefangen gehalten werde. Während ganz Boston das Drama auf dem heimischen Fernsehschirm live verfolgen konnte, saß sie im Brennpunkt des Geschehens fest.
    Das plötzliche Schaukeln des Containers lenkte ihren Blick zur Tür, und sie sah einen Mann eintreten. Noch ein Polizist, dachte sie, als sie die Waffe in dem Holster an seiner Hüfte bemerkte. Dieser Mann jedoch war kleiner als Hayder, eine weit weniger imposante Erscheinung. An seinem feuerroten, schweißnassen Schädel klebten nur ein paar spärliche braune Haarsträhnen.
    »Mann, hier drin ist es ja noch heißer«, sagte der Mann.
    »Habt ihr die Klimaanlage nicht eingeschaltet?«
    »Sie ist eingeschaltet«, antwortete Emerton, »aber sie taugt nichts. Wir sind nicht dazu gekommen, sie warten zu lassen. Die Hitze ist echt tödlich für die Elektronik.«
    »Von den Menschen ganz zu schweigen«, meinte der Mann. Sein Blick blieb an Maura haften. »Sie sind Dr. Isles, nicht wahr? Ich bin Lieutenant Leroy Stillman. Man hat mich gerufen, um ein bisschen Ruhe in die Sache zu bringen. Und zu sehen, ob sich die Sache nicht vielleicht ohne Gewalt aus der Welt schaffen lässt.«
    »Sie sind also der Geisel-Unterhändler.«
    Er zuckte bescheiden mit den Achseln. »So werde ich genannt.«
    Sie gaben sich die Hand. Vielleicht war es sein unprätentiöses Äußeres – der leicht zerknirschte Gesichtsausdruck, das schüttere Haupthaar –, das ihr in seiner Gegenwart die Befangenheit nahm. Anderes als Hayder, der ganz und gar testosterongesteuert schien, betrachtete dieser Mann sie mit einem ruhigen und geduldigen Lächeln. Als hätte er alle Zeit der Welt, um sich mit ihr zu unterhalten. Er sah Hayder an. »Das ist ja unerträglich hier drin. Sie muss doch nicht unbedingt hier im Container warten.«
    »Sie hatten uns gebeten, die Zeugen festzuhalten.«
    »Ja, aber dass Sie sie bei lebendigem Leib rösten sollen, habe ich nicht gesagt.« Er öffnete die Tür. »Angenehmer als hier drin ist es überall, schätze ich.«
    Sie gingen hinaus, und Maura atmete mehrmals tief durch, heilfroh, diesem stickigen Backofen entronnen zu sein. Draußen wehte wenigstens ein leichtes Lüftchen. Während der Zeit, die sie im Container festgesessen hatte, hatte die Albany Street sich in ein Meer von Polizeifahrzeugen verwandelt. Die Einfahrt zur Rechtsmedizin auf der anderen Straßenseite war vollkommen blockiert, und sie hatte keine Ahnung, wie sie mit ihrem Wagen vom Parkplatz wegkommen sollte. In der Ferne, hinter den Polizeiabsperrungen, erkannte sie Satellitenschüsseln, die wie Blüten auf hohen Stängeln über den Dächern der Übertragungswagen aufragten. Sie fragte sich, ob die Fernsehteams in ihren Autos genauso schwitzten und litten wie sie bis vor kurzem in der mobilen Einsatzzentrale. Sie hoffte es zumindest.
    »Danke, dass Sie gewartet haben«, sagte Stillman.
    »Ich hatte ja kaum eine Wahl.«
    »Ich weiß, es ist lästig, aber wir müssen nun einmal alle Zeugen dabehalten, bis wir sie eingehend befragt haben. Die Situation ist vorläufig unter Kontrolle, und ich brauche jetzt vor allem weitere Informationen. Wir wissen nichts über ihre Motive. Wir wissen nicht, wie viele Menschen sie da drin in ihrer Gewalt hat. Ich muss wissen, mit wem wir es zu tun haben, damit ich die richtige Herangehensweise wählen kann, wenn sie sich irgendwann bei

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