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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sein mag, der sie noch hier im Haus hält. Aber sie marschiert so entschlossen und zielstrebig drauflos, dass ich ihr ins Schlafzimmer der Mutter folge, das bisher stets abgeschlossen war.
    Zum ersten Mal betrete ich diesen Raum, und mit offenem Mund begaffe ich das breite Bett mit der Satinbettwäsche, die Frisierkommode mit dem Spitzendeckchen und der Reihe silberner Haarbürsten. Olena geht schnurstracks auf die Kommode zu, reißt die Schubladen auf und wühlt darin herum.
    »Was suchst du?«, frage ich.
    »Wir brauchen Geld. Ohne das können wir nicht überleben. Sie muss es doch irgendwo aufbewahren.« Sie zieht eine Wollmütze aus der Schublade hervor und wirft sie mir zu. »Hier. Du wirst warme Kleider brauchen.«
    Es ist mir zuwider, die Mütze auch nur anzufassen, weil sie der Mutter gehört hat und ihre hässlichen braunen Haare noch an der Wolle hängen.
    Olena steuert mit raschen Schritten auf den Nachttisch zu, zieht die Schublade auf und findet ein Handy sowie ein Bündel Banknoten. »Das kann nicht alles sein«, sagt sie. »Da muss noch mehr sein.«
    Ich will nur fort von hier, aber ich weiß, dass sie Recht hat; wir brauchen Geld. Ich gehe zum Schrank, dessen Türen offen stehen; die Killer haben ihn durchsucht, wobei mehrere Kleiderbügel hinuntergefallen sind. Aber sie haben nach verängstigten Mädchen gesucht, nicht nach Geld, und das obere Regalfach scheint noch unberührt. Ich ziehe einen Schuhkarton heraus, aus dem alte Fotos hervorquellen. Ich sehe Bilder von Moskau, lächelnde Gesichter und eine junge Frau, deren Augen mir verstörend bekannt vorkommen. Und ich denke: Auch die Mutter war einmal jung. Hier ist der Beweis.
    Dann ziehe ich eine große Einkaufstasche aus dem Fach. Sie enthält einen schweren Schmuckbeutel, eine Videokassette und ein Dutzend Reisepässe. Und Geld. Ein dickes Bündel amerikanischer Banknoten, zusammengebunden mit einem Gummi.
    »Olena! Ich hab’s gefunden!«
    Sie kommt auf mich zu und wirft einen Blick in die Tasche. »Nimm alles mit«, sagt sie. »Die Tasche können wir später noch durchsuchen.« Sie wirft auch das Handy hinein. Dann schnappt sie sich eine Strickweste aus dem Schrank und drückt sie mir in die Hand.
    Ich will die Sachen der Mutter nicht tragen. Sie strömen ihren typischen Geruch aus – wie saure Hefe. Aber ich ziehe sie trotzdem an und unterdrücke meinen Ekel. Einen Rollkragenpulli, eine Strickjacke und einen Schal, alles über meiner eigenen Bluse. Wir kleiden uns rasch und schweigend an, schlüpfen in die Sachen der Frau, die tot im Nebenzimmer sitzt.
    An der Haustür bleiben wir zögernd stehen und starren in den Wald hinaus. Warten die Männer da draußen auf uns? Sitzen sie ein Stück weiter die Straße entlang in ihrem unbeleuchteten Wagen, weil sie genau wissen, dass wir irgendwann auftauchen werden?
    »Nicht da lang«, sagte Olena, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Nicht über die Straße.«
    Wir schlüpfen hinaus, gehen ums Haus herum, und nach wenigen Schritten hat der Wald uns verschluckt.

18
    Gabriel stürzte sich in den Pulk der Reporter, den Blick auf die perfekt frisierte Blondine geheftet, die knapp zwanzig Meter von ihm entfernt im Scheinwerferlicht stand. Als er sich weiter vorkämpfte, sah er, dass Zoe Fossey in diesem Moment in die Kamera sprach. Sie entdeckte ihn und erstarrte. Stumm hielt sie das Mikrofon umklammert.
    »Schalten Sie es aus«, sagte Gabriel.
    »Ruhe!«, zischte der Kameramann. »Wir sind auf Sendung …«
    »Schalten Sie das verfluchte Mikro aus!«
    »He! Was fällt Ihnen eigentlich …«
    Gabriel stieß die Kamera zur Seite und riss an ein paar Kabeln. Die Scheinwerfer erloschen.
    »Schafft den Mann hier raus!«, schrie Zoe.
    »Wissen Sie eigentlich, was Sie getan haben?«, fuhr Gabriel sie an. »Haben Sie auch nur einen blassen Schimmer?«
    »Ich mache meine Arbeit«, gab sie zurück.
    Er trat auf sie zu, und etwas in seinem Blick ließ sie zurückweichen, bis sie mit dem Rücken gegen einen Übertragungswagen stieß und nicht mehr weiterkonnte.
    »Sie haben vielleicht gerade meine Frau hingerichtet.«
    »Ich?« Sie schüttelte den Kopf und fügte mit trotzigem Unterton hinzu: »Ich bin doch nicht diejenige mit dem Finger am Abzug.«
    »Sie haben diesen Leuten gerade verraten, dass sie Polizistin ist.«
    »Ich berichte nur die Fakten.«
    »Ohne Rücksicht auf die Folgen?«
    »Es ist eine Nachricht, oder?«
    »Wissen Sie, was Sie sind?« Er trat noch einen Schritt näher und merkte, dass er nur

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