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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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mit Mühe den Wunsch unterdrücken konnte, die Frau zu würgen. »Sie sind eine Hure. Nein, das nehme ich zurück. Sie sind schlimmer als eine Hure. Sie verkaufen nicht nur sich selbst – sie würden auch jeden anderen verkaufen.«
    »Bob!«, rief sie dem Kameramann zu. »Schaff mir diesen Typen vom Leib!«
    »Zurück, Mister!« Die Hand des Kameramannes legte sich schwer auf Gabriels Schulter. Gabriel schüttelte sie ab, ohne den Blick von Zoe zu wenden. »Wenn Jane irgendetwas zustößt, dann schwöre ich …«
    »Zurück, hab ich gesagt!« Wieder packte der Kameramann Gabriel an der Schulter.
    In diesem Augenblick entzündete sich Gabriels ganze Angst und Verzweiflung in einer Explosion blinder Raserei. Er fuhr herum und rammte dem Mann mit voller Wucht den Ellbogen in die breite Brust. Er hörte das Zischen, mit dem die Luft aus den Lungen des anderen entwich, und erhaschte einen kurzen Blick auf sein verblüfftes Gesicht, als er rückwärts taumelte, das Gleichgewicht verlor und in einem Schlangennest von Elektrokabeln landete. Im nächsten Moment war Gabriel über ihm, die Faust erhoben, jeder Muskel zum Schlag angespannt. Dann aber zerriss plötzlich der Schleier vor seinen Augen, und er nahm wieder den Mann wahr, der sich da hilflos unter ihm duckte. Gleichzeitig registrierte er, dass sich schon ein Kreis von Schaulustigen um ihn und den Kameramann versammelt hatte, um das Schauspiel zu verfolgen. Diese Gratisshow wollte sich niemand entgehen lassen.
    Schwer atmend rappelte Gabriel sich auf. Ein paar Meter weiter sah er Zoe stehen; ihre Augen blitzten vor Erregung.
    »Hast du das im Kasten?«, rief sie einem anderen Kameramann zu. »Scheiße, hat
irgendjemand
das mitgeschnitten?«
    Angewidert machte Gabriel kehrt und ging davon. Er blieb erst wieder stehen, als er die Reporterschar und das gleißende Licht der Scheinwerfer weit hinter sich gelassen hatte. Zwei Blocks von der Klinik entfernt hielt er an einer Straßenecke inne, endlich allein. Selbst hier in dieser dunklen Häuserschlucht konnte man der drückenden Sommerhitze nicht entfliehen; immer noch stieg sie von den Bürgersteigen auf, die sich den ganzen Tag über in der prallen Sonne aufgeheizt hatten. Er hatte plötzlich ein Gefühl, als hätten seine Füße im Asphalt Wurzeln geschlagen; so gelähmt war er von Kummer und Angst, dass er keinen Schritt weitergehen konnte.
    Ich weiß nicht, wie ich dich retten soll. Es ist mein Job, Gefahren von den Menschen fern zu halten, aber den einen Menschen, den ich über alles liebe, kann ich nicht beschützen.
    Sein Handy klingelte. Er erkannte die Nummer auf dem Display und nahm den Anruf nicht an. Es waren Janes Eltern. Sie hatten ihn schon einmal angerufen, als er im Wagen gesessen hatte, gleich nachdem Zoes Reportage gesendet worden war. Stumm hatte er Angela Rizzolis hysterisches Schluchzen über sich ergehen lassen, ebenso wie Franks Aufforderungen zum Handeln. Ich kann mich jetzt nicht mit ihnen befassen, dachte er. Vielleicht in fünf oder zehn Minuten. Aber nicht jetzt.
    Er stand allein in der nächtlichen Straße und mühte sich, die Fassung wiederzuerlangen. Er war gewiss kein Mann, der so leicht die Beherrschung verlor, und doch hätte er vor wenigen Minuten um ein Haar einem Mann einen Faustschlag ins Gesicht versetzt. Jane wäre schockiert, dachte er. Und vermutlich auch amüsiert, wenn sie gesehen hätte, wie ihr Mann endlich auch einmal die Nerven verlor.
Der Mann im grauen Anzug,
so hatte sie ihn einmal verärgert genannt, weil er gar so unerschütterlich war, während ihr Temperament ständig mit ihr durchging. Du wärst stolz auf mich, Jane, dachte er. Endlich habe ich bewiesen, dass ich auch nur ein Mensch bin.
    Aber du bist nicht hier, du kannst es nicht sehen. Du weißt nicht, dass das alles nur deinetwegen ist.
    »Gabriel?«
    Er hob den Kopf. Drehte sich um und erblickte Maura, die so lautlos an ihn herangetreten war, dass er sie gar nicht bemerkt hatte.
    »Ich musste dringend weg von diesem Affenzirkus«, sagte er. »Sonst hätte ich diesem Weib noch den Hals umgedreht, das schwöre ich. Schlimm genug, dass ich es an dem Kameramann ausgelassen habe.«
    »Das habe ich gehört.« Sie hielt inne. »Janes Eltern sind gerade gekommen. Ich habe sie auf dem Parkplatz gesehen.«
    »Sie haben mich angerufen, gleich nachdem sie den Bericht in den Fernsehnachrichten gesehen hatten.«
    »Sie suchen nach dir. Du solltest besser hingehen.«
    »Ich kann mich im Moment nicht mit ihnen

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