Scheiss dich nicht an - Lebe
und Blut, und nicht einmal die gewaltige Rotzbremse in seiner Visage kann die Hasenscharte verdecken, die sich darunter verbirgt.
„Weg mit ihm!“, wird er sich gesagt haben, nachdem er die Missgeburt das erste Mal gesehen hat, „hinüber mit dem Ulf ins Siechenheim für 0-5-Jährige, bevor ich ihn mit meiner Alten heim in die warme gemütliche Bauernstube nehmen muss. Und wenn es kein Siechenheim für diese Altersgruppe gibt, dann lasse ich halt eines bauen, der Herrgott und der Pfarrer Hein werden es mir schon lohnen!“
Freilich sucht der Biermösel jetzt auf dem Ölschinken beim Lodenkönig a.D. neben der Hasenscharte vergeblich den furchtbar hässlichen Buckel und die drei Augen – „Jawoll! Drei Augen!“ -, die den Hasenscharten-Ulf angeblich auch noch schmücken und die der Tripischovski dem Ulf vielleicht ebenfalls vererbt haben könnte. Aber auch so ist ihm jetzt komplett klar, dass der Lodenkönig der Vati vom Hasenscharten-Ulf ist, und wenn das schon keine schöne Überraschung ist (schön schaut anders aus!), dann ist es doch zumindest eine Überraschung. Das „Wer ist der Hasenscharten-Ulf?“ hätte er jedenfalls gelöst, bravo, aber das war ja nicht die Frage.
„Wo ist der Hasenscharten-Ulf?“, liest er sattdessen schon wieder die lästige Frage von der Lois Lehn auf dem Titelblatt vom Ländlichen Boten , der sogar hier im Siechenheim herumliegt, allerdings ist er da herinnen drei bis vier Wochen alt.
Im Siechenheim aber ist es wurscht, welches Datum eine Zeitung trägt, dort gibt es keine Zeit mehr, kein Gestern, kein Heute, kein Morgen. Im Siechenheim gibt es keine Vorfreude auf den kompletten Besinnungsverlust durch den Schweinsbratenexzess mehr und erst recht keine Hoffnung auf die Erlösung nach der schmerzhaften Kolik. Es gibt keine Zeit für den Rausch und keine Zeit für den Brummschädel, keine Zeit für das Kraut und keine Zeit für den Knödel. Nur ein Stückerl ebener, gerader Straße liegt noch vor den Siechen, beim einen ist sie noch zwei Zentimeter lang, beim anderen vielleicht noch drei. Dann die STOP-Tafel. Dann aus. Dann vorbei.
„Wo ist er denn, der Ulf?“, täte der Biermösel den Alten nur zu gerne fragen, aber die viel wichtigere Frage lautet jetzt:
Wo ist denn der Alte?
In seinem Zimmer – in seinem Schweinskobel!, muss der Biermösel sagen, so dreckig ist es da herinnen – ist er jedenfalls nicht, nicht im Bett und auch nicht darunter.
Aber der gewisse Instinkt von der Gendarmerie, die weiß, dass man immer im Schrank nachschauen muss, wenn man etwas Wichtiges sucht, lässt ihn im Schrank nachschauen, und – hoppala!
Dort hängt zwar nicht der alte Biermösel drinnen, komplett erlöst von den Leiden der Welt, wie es der Biermösel eigentlich erwartet hätte. Aber dafür steht dort das Kalaschnikow-Präzisionsgewehr in der Ecke, das er sich als kleiner Biermösel immer so sehr gewünscht hat, mit noch genau einer Kugel im Magazin drinnen, wie er jetzt feststellen muss, du heiliger Bimbam! Was soll denn das wieder bedeuten, dass da noch genau eine Kugel im Magazin ist? Ist es ein Zeichen? Ein Wink mit dem Zaunpfahl?
Der Biermösel kann sich noch gut erinnern, dass der Alte sogar das Gewehr – trotz allem, was dagegen gesprochen hat! -die längste Zeit für seinen Zuchteber aufgehoben hat, von dem er jetzt doch glaubt, dass er Earp geheißen hat (wie der Revolverheld!), dass er im „Schießen aus der Hüfte heraus“ aber trotzdem schlechter war als er selbst, wenigstens in der einen Disziplin war er besser!
Der Biermösel aber kann den Präzisionsschießprügel mit nur noch einer Kugel drinnen jetzt wirklich gut gebrauchen, fällt ihm ein, und wie er auf einmal die kleinen Fastenglocken von der Siechenheimkirche hört, die immer nur mahnend zum Gebet rufen und leider nie zum Essen, weiß er auch, für wen.
Endlich findet er den Alten draußen an der frischen Luft. Als Einziger von den ganzen Siechen sitzt er in der Frühlingssonne draußen, wo er dem Siechenheimgärtner Georgij aus Berg-Karabach beim Rasenmähen zuhört – fürs Zuschauen fehlen ihm ja leider die Augen. Der Biermösel sieht, dass der Alte mit seiner (halb abgeschnittenen) Nase schon gewaltig an die STOP-Tafel von seiner ebenen, geraden Straße stößt und dass der Große Reiseveranstalter da oben im Himmel ihn längst für die letzte große Überfahrt gebucht hat. Aber wie immer bei den organisierten Reisen ist auf den Busfahrer kein Verlass, irgendwo trödeln die Busfahrer immer herum
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