Scheiss dich nicht an - Lebe
oder weigern sich einfach, dass sie stehen bleiben und einen mitnehmen oder aussteigen lassen, und am Schluss dann, wenn es einem eigentlich nicht mehr schnell genug gehen kann, wird es wegen der depperten Busfahrer erst recht ein langes Warten, naja, denkt sich der Biermösel, so ist das halt.
Als sich der Biermösel dann eine Träne aus dem Auge wischt wegen dem ganzen Leiden, das sich vor ihm ausbreitet, da sieht er auf einmal die zerfledderte Ausgabe vom Ländlichen Boten , die dem Alten in der Brusttasche von seinem speckigen Jackett drinnensteckt. „1951“ liest er darauf, nachdem er langsam zu ihm hingegangen ist und ihm die Zeitung herausgezogen hat, so vorsichtig und leise, dass er es hoffentlich nicht gemerkt hat. Dann schaut er auf das Foto von dem preisgekrönten Zuchteber auf dem Titelblatt, wie er sich auf einer Landwirtschaftsmesse wieder einmal alle Medaillen abgeholt hat, als Beglücker der Sauen. Und unter dem Foto, sieht der Biermösel, ist wahrscheinlich einmal sein Name gestanden, aber heute ist er weg. Trotz der Gleitsichtbrille kann der Biermösel dort nichts mehr erkennen. Zu oft wird der Alte das Bild angegriffen haben, und zu viele Tränen wird er darüber vergossen haben, als er noch die nötigen Augen fürs Weinen gehabt hat.
Der Biermösel aber kann jetzt nicht verhehlen, wie weh es ihm tut, dass er dem Alten nie eine Ausgabe vom Ländlichen Boten hat bringen können, die ihn am Titelbild zeigt, den Helden, der er nie war und auf den der Alte nie hat stolz sein können. Er weiß ja nicht einmal, wo der Hasenscharten-Ulf ist!
Bevor er den Alten aber wieder mit seiner eigenen elenden Existenz belasten könnte, sieht der Biermösel überraschend die blonde Russin Ivana, die der Puffkaiser Schlevsky im letzten Herbst für seinen Lebensabend importiert hat und die dann ein paar Monate lang ohne jeden Plan in der Gegend herumgerannt ist und den Weg nach Nowaja Semlja hinauf gesucht hat, und die jetzt – trotz allem, was dagegen gesprochen hat! – ein überraschendes Glück als Novizin gefunden hat, da schau her!
In ihrer flotten Nonnentracht kommt sie zum alten Biermösel her und setzt sich zu ihm ins Rollwagerl hinein (worum ihn der Biermösel jetzt wirklich beneidet!). Platz haben sie ja genug, seit sie dem Alten die Haxen auch noch weggeschnitten haben. Dann streicht sie ihm durch das gewaltige Haargesteck, das sie ihm nie weggeschnitten haben, und nimmt mit ihren zarten Mäusepfötchen die eine riesige Pratze vom Alten, die sie ihm ohne Finger noch gelassen haben, und während der Siechenheimgärtner Georgij in der lauen Frühlingsluft friedlich seine Runden dreht, hält die Ivana sanft die Hand vom Alten.
Du meine Güte, denkt sich der Biermösel und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Wenigstens mit den Russen hat sich der Alte versöhnt, wenigstens mit denen.
Durch den Tränenfilm hindurch, der ihm in den Augen steht, hat der Biermösel aber auf einmal — trotz allem, was dagegen spricht! – das Gefühl, dass der Alte ihn anschaut, so wie er ihn früher immer angeschaut hat, wenn er was von ihm gewollt hat. Er hat das sehr sichere Gefühl, dass der Alte – trotzdem jetzt die sehr leckere Russin bei ihm sitzt! – die ganzen Jahre im Rollstuhl im Siechenheim nur darauf gewartet hat, dass sein Rotzbub endlich kommt und das Gewehr mit der einen Kugel im Kasten findet und endlich tut, was er selbst nicht mehr tun kann, weil ihm dazu die Finger an der Hand fehlen – und peng!
Aber der Biermösel muss den Alten leider schon wieder enttäuschen, weil er die Kugel für einen anderen reserviert hat!
Zu gerne hätte er dann noch ein bisserl Zeit mit dem Alten verbracht, er ist ja keiner, der sich ein Kalaschnikow-Präzisionsgewehr unter den Nagel reißt und dann einfach vor dem Leiden davonrennt.
Aber seine eigenen Leiden unten herum haben ihn auf das Siechenheimscheißhaus getrieben, wo er jetzt die ganzen Tränen über das ganze Elend vom Alten in Ruhe und unbeobachtet vergießen kann. Und wie er sich dabei über die Klomuschel beugt und das Ohrwascherl tief hineinhängt, da mischen sich unter die ganzen bitteren Tränen langsam ein paar Freudentränen, als er aus den Tiefen der Erde herauf nämlich auf einmal deutlich das Grunzen und Quietschen von seiner Sau Trudi hört, da soll der Mensch nicht vor Freude weinen?
Reise in den Darm der Finsternis
Wie der Biermösel dann aus Goisern kommend in die Kanaldeckelstraße einbiegt, da bringt ihn die Sorge um seine Sau Trudi
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