Scheiss dich nicht an - Lebe
so!“
„Na wie?“
Er war damals erst vier Jahre alt, und es haben ihn andere Sachen mehr interessiert als genau das – sein Schweinchen-Dick-Kostüm und die Quasteln an seiner Badehose zum Beispiel waren ihm näher, aber auch wenn ihm diese Unterrichtseinheit noch heute schwer im Magen liegt, so täte er den Alten jetzt doch gerne fragen:
„Wie muss ich es denn anstellen, damit ich den Hasenscharten-Ulf wiederfinde, wie geht denn das?
„Na so!“
„Na wie?“
Der Biermösel lenkt die Fips durch den weitläufigen Park vom katholischen Siechenheim in Goisern drüben, dann stellt er sie gegen einen Nussbaum und schaut sich ein bisserl um. Sehr schön alles, sehr sauber nach außen hin. Wie es aber im Innersten von so einem katholischen Siechenheim ausschaut, das weiß man immer erst, wenn man selbst wieder die Windeln anzieht und die Zähne dort abgibt.
„Wo ist denn der Alte?“, fragt er einen Haufen vorbeirennender Klosterschwestern, von denen er jetzt nicht genau sagen kann, ob sie auf einen Sprung aus der Hölle vorbeischauen oder nur aus einem Speisesaal, in dem es seit Wochen nichts mehr zu essen gibt, so verhungert schauen sie aus.
„Der Herr Biermösel“, sagt die Rudelführerin, „ist jetzt mit seinem Kreisky-Bild auf dem Revers von seinem nie gewaschenen Lodensakko drüben im ehemaligen Missgeburtentrakt 0-5 Jahre untergebracht, wo es ihm besser geht, als es einem Kommunisten zusteht.“
Dazu vom Biermösel vielleicht nur drei Worte:
„Ein Schmalzbrot vielleicht?“
Und schon verhindert nur sein ausgestreckter Zeigefinger im Auge der Schwester Oberin und der spitze Ellbogen in der Magengrube der Novizin, dass sie ihn abstechen und fressen, denn mit ihren abgebissenen Fingernägeln kratzen sie schon das Schmalz aus dem Leder von seiner Satteltasche und saugen daran wie das Kalb an der Mutterkuh, damit der Wasserfluss aus ihren Mundwinkeln vielleicht endlich nachlässt und ihre gierigen Augen wieder in die Augenhöhlen zurücktreten, „bitte! bitte!“, jammern sie, „gib uns ein Schmalzbrot!“ Aber der Biermösel gibt ihnen natürlich trotzdem keines, er will ja schließlich nicht, dass sie wegen ihm sündigen!
Wie der heiße Föhn seinen Schädel, so trifft die harte Faust vom Verwesungsgeruch den Biermösel dann mitten auf die Nase und fügt ihm eine weitere schwere Fraktur zu, als er den Siechentrakt betritt. Die Siechen und Teile von den Siechen stehen dort aufgereiht im Gang herum oder sitzen in ihren Rollwagerln. Die, die noch schauen können, schauen deppert auf die Mauer vor ihnen, weil sie die Fenster auf der anderen Seite vom Gang nicht gefunden haben und sie ihnen auch keiner gezeigt hat. Die anderen, die ohne Augen, weinen mit dem inneren Auge der verlorenen Zeit hinterher, die an ihnen vorbeirinnt, und nur weil sie keine Augen mehr haben, sieht man auch ihre Tränen nicht.
Da schau her! An der Wand hängen ja ein paar Bilder, merkt der Biermösel endlich, und die lebenden Toten, die daran vorbeihuschen, bekreuzigen sich davor. Da bleibt er stehen und setzt sich die Gleitsichtbrille auf, und ein Siecher, der noch sehen kann, aber nicht mehr gehen, rutscht auf allen vieren zu ihm her und zieht ihn am Hosenbein. Er fragt:
„Hast einen Euro für mich?“
„Da hast zwei vierzig!“, sagt der Biermösel zu ihm. „Und jetzt lies mir vor, was da unter dem Bild steht!“
„Edler Spender Tripischovski, Lodenkönig“, sagt der Sieche.
„Da hast du noch ein Schmalzbrot“, sagt der Biermösel, und dann schaut er sich an, wie der Sieche die Gottesgabe verschlingt – wie das Krokodil im Okavango-Delta den unvorsichtigen Fliegenfischer nämlich, na bumsti! Wenn das seine Zukunft ist, denkt er sich jetzt und kratzt sich hinterm Ohrwascherl, dann wird er sich noch sehr genau überlegen müssen, ob er nicht lieber in den Kanal hineinspringt, bevor er sich im Lebensabend da hereinlegt.
Als der Biermösel dann näher an den gemalten Ölschinken herantritt, verstärkt sich einerseits sein Hunger nach Schinken und Öl. Andererseits kriegt er aber auch endlich ein klares Bild von den Verhältnissen, die den Hasenscharten-Ulf und die Glocke vom Tripischovski in den so genannten Kausalzusammenhang bringen, und zwar ausnahmsweise in einen, den er sich nicht erst zurechtschnitzen muss:
Mit seinem Hundsviech sitzt der geheimnisumwitterte Spender auf seinem Sessel im Ölschinken drinnen, mit seinem Hundsviech, das ihm wahrscheinlich sein Leben lang lieber war als sein eigenes Fleisch
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