Schenk mir deinen Atem, Engel ...
zu ihr gehen und ihr beistehen wollen. Doch dann hatte Faith dieses junge Paar angesprochen, und er hatte den Gedanken wieder verworfen. Es wäre nicht gut, wenn allzu viele Menschen ihn sahen.
Und trotzdem – der Drang, sie in die Arme zu nehmen und zu trösten war beinahe übermächtig gewesen. Sie war schockiert gewesen, keine Frage. Schockiert und entsetzt. So sehr, dass es sie körperlich schmerzte. Und ihr Schmerz war sein Schmerz.
Er war selbst verwundert darüber, aber er empfand tatsächlich so. Er hatte keine Ahnung, woran es lag, aber das Bedürfnis, Faith zu beschützen, war nicht mehr nur Teil seiner Aufgabe. Seit dem Moment, in dem er sie vor dem Velraq gerettet hatte, fühlte er sich aus unerfindlichen Gründen zu ihr hingezogen. Vergangene Nacht, als er in ihrem Zimmer gewesen war, wäre er am liebsten gar nicht mehr fortgegangen. Was war das bloß, warum empfand er so merkwürdig? Eigentlich wollte er sie doch nur vor den Dämonen beschützen, um endlich dorthin zu dürfen, wo er hingehörte: ins Elysium, das Reich der Engel.
Er schüttelte den Kopf. Es brachte nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Es gab anderes, um das er sich kümmern musste. Denn im Grunde war es vollkommen nebensächlich, aus welchen Gründen er Faith schützen wollte. Wichtig war nur, dass er es tat.
Denn die Lage spitzte sich zu.
Diese tote Frau, die Faith gefunden hatte, war ein deutliches Anzeichen dafür. Jake war sicher, dass sie von Dämonen ermordet worden war. Und das war ganz bestimmt kein Zufall. Viel eher glaubte er daran, dass einige der niederen Höllengestalten, während sie nach der reinen Seele Ausschau hielten, ihre unnatürlichen Triebe befriedigten. Demnach war auch der Angriff des Velraq auf Faith möglicherweise gar nicht zielgerichtet gewesen. Doch Jake glaubte, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch die Diener Satans herausfanden, wer die reine Seele war.
Faith …
Und für diesen Fall musste er vorsorgen. Es reichte nicht mehr, in Faiths Nähe zu bleiben und aus der Ferne auf sie aufzupassen. Es war an der Zeit, einen Schritt weiterzugehen: Er musste sie dazu bringen, mit ihm zu kommen. Nur an seiner Seite, an einem sicheren Ort, konnte er ihr den Schutz bieten, den sie dringend benötigte.
Die Frage war bloß: Wie sollte er das anstellen?
An diesem Abend ging Faith früh schlafen. Sie fühlte sich nach allem, was sie erlebt hatte, vollkommen zerschlagen. Und obwohl sie fürchtete, dass das Bild der toten Frau sie bis in ihre Träume verfolgen würde, konnte sie den Schlaf nicht länger abwehren.
Es mussten bereits ein paar Stunden vergangen sein, als sie wieder erwachte. Silbernes Mondlicht fiel durch die nicht vollständig zugezogenen Vorhänge. Sie hörte Wills leisen, regelmäßigen Atem vom anderen Ende des Zimmers. Er verschmolz mit dem allgegenwärtigen Rauschen der Brandung.
Aber da war noch etwas. Sie runzelte die Stirn. Ein Geräusch, ganz am Rande der bewussten Wahrnehmung. Und je mehr sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, umso weiter glitt es von ihr fort.
Was war das?
Ein Flüstern? Es klang wie ein Name.
Ihr Name!
Faaaiiitth …
Wie elektrisiert setzte sie sich in ihrem Bett auf. Sie war jetzt beinahe sicher, dass da jemand ihren Namen rief.
Lockend.
Fordernd.
Immer wieder und wieder hörte sie es. Wie von selbst schlug sie die Decke zurück und schwang die Beine von ihrer Matratze.
Mach keinen Blödsinn, sagte sie zu sich selbst. Bleib liegen und versuch weiterzuschlafen.
Doch das war nicht möglich. Sie wurde angezogen von diesem geheimnisvollen Flüstern wie eine Motte vom Licht. Würde auch sie verglühen, so wie ein Nachtfalter, der der Quelle der Faszination zu nahe kam?
Ehe sie sich versah, fand sie sich draußen auf der Veranda wieder. Als sie ihn dort erblickte, das blonde Haar vom Wind zerzaust, atmete sie scharf ein.
„Jake?“
Er trat auf sie zu. Sanft streichelte er ihr mit der Hand übers Haar. Sie ließ es geschehen. Schloss die Augen und akzeptierte das gleichermaßen irritierende und anregende Gefühl, dass seine Berührung in ihr auslöste.
Die Zeit schien stillzustehen.
Sie spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Sie atmete schwer. „Was tust du hier?“, fragte sie mit seltsam schleppender Stimme. Sie war sich nicht sicher, ob sie wachte oder träumte. „Was willst du von mir, Jake?“
„Dich beschützen“, flüsterte er, und sie glaubte ihm sofort, dass er die Wahrheit sagte. Er würde nicht zulassen, dass
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