Schenk mir deinen Atem, Engel ...
schloss sie die Augen und wartete auf einen Schrei, auf ein herzzerreißendes Geräusch – auf irgendetwas –, als ein greller Blitz sie sogar durch ihre geschlossenen Augenlider hindurch blendete.
Nun kamen die Schreie – doch sie stammten nicht von Jake.
Faith riss die Augen auf. Was sie sah, ließ sie mit offenem Mund aus dem Fenster starren.
Wie war das möglich? Wie konnte es sein, dass ein einzelner Junge …?
Doch Jake war nicht nur irgendein Junge. Er hatte gesagt, er sei ein Engel – und offenbar kannte er die Schwachstelle dieser Kreaturen, die gekommen waren, um … Ja, um was eigentlich? Sie zu holen?
Weil sie die reine Seele war, von der Jake gesprochen hatte?
Es schien ihr unglaublich, dass es tatsächlich so sein sollte. Sie war nicht so rein, wie Jake vielleicht glaubte. Mein Gott, wie oft hatte sie ihren kleinen Bruder heimlich verflucht, weil der im Gegensatz zu ihr nie auch nur einen Tag krank gewesen war. Tat so etwas jemand, der eine reine Seele besaß?
Sie lief zum Fenster und klammerte die Finger so fest um den hölzernen Rahmen, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Draußen schien es flüssiges Feuer zu regnen, und die Luft war so voller Rauch, dass Faith nicht erkennen konnte, was genau dort vor sich ging.
Hin und wieder erblickte sie Jake und atmete scharf ein, erleichtert, dass er immer noch am Leben war. Aber wie lange noch? Konnte er sich wirklich allein gegen eine solche Armee von Dämonen behaupten?
„Faith! Was tust du da?“
Es war die Stimme ihres Vaters. Er kam näher. Auf keinen Fall wollte sie, dass er sah, was dort draußen passierte. Ihre Mutter und er schienen nichts von dem Grauen mitbekommen zu haben, wie auch immer das möglich sein konnte. Und Faith hatte mit angesehen, was mit Will geschehen war. Ihre Eltern sollten nicht durch dieselbe Hölle gehen müssen.
Aber was sollte sie tun? Sie konnte doch nicht einfach weggehen, während Jake um sein Leben kämpfte – ihretwegen!
Du bist ihm keinerlei Hilfe, wenn du hierbleibst. Er tut all dies, um dich zu beschützen. Soll das umsonst gewesen sein?
Die Entscheidung, mit ihrer Familie zu verschwinden, war eine der schwersten, die Faith je in ihrem Leben getroffen hatte. Und sie fühlte sich dabei wie eine Verräterin.
Es tut mir leid! Sie versuchte den Gedanken in Jakes Richtung zu schicken. Vergangene Nacht war er einfach so in ihr Bewusstsein eingedrungen. Vielleicht bestand zwischen ihnen ja eine Verbindung, und ihre Worte erreichten ihn. Pass auf dich auf!
Sie musste sich zwingen, sich vom Fenster loszureißen, hinter dem immer noch unverändert das Chaos herrschte. Sie eilte zu ihrem Vater, der ebenso verwirrt und durcheinander wirkte wie ihre Mutter. Sie stand ein Stück hinter ihm und hielt Will an der Hand.
So hatte Faith ihre Eltern nie zuvor gesehen, und sie konnte sich ihren Zustand nicht damit erklären, dass sie die beiden mitten aus dem Schlaf gerissen hatte. Da war mehr als das. Sie wirkten wie weggetreten. So als hätten sie irgendwelche Medikamente zur Beruhigung genommen, deren Wirkung sie nur mühsam abschütteln konnten.
Das würde erklären, warum sie nicht wach geworden waren, als der benachbarte Bungalow explodierte und das Chaos losbrach. Erst jetzt fiel ihr auf, dass es keinerlei Aufruhr in der Nachbarschaft gegeben hatte. Die Explosion musste noch weit entfernt zu hören gewesen sein, vorhin am Strand hatte sie jedoch keine Menschenseele gesehen. Keine Neugierigen, keine Gaffer.
Und plötzlich begriff sie, dass es ihr Werk gewesen sein musste – das der Monster.
Irgendwie hatten sie es geschafft, die Menschen im Schlaf zu überwältigen; anders konnte Faith es sich nicht erklären.
Deshalb hatte es auf Will und sie auch keine Wirkung gehabt, da sie nicht, wie um diese Zeit eigentlich üblich, im Bett gelegen hatten.
„Kommt“, rief sie und ergriff nun auch die Hand ihrer Mutter. „Wir müssen hier raus. Durch die Hintertür!“
Sie waren gerade durch die Tür hinaus, als ein ohrenbetäubender Knall erklang. Grelles Licht machte die Nacht zum Tag. Faith blickte sich um, doch das Haus versperrte ihr die Sicht auf den Strand. Sie konnte nicht sehen, was dort vor sich ging.
Wie Jake sich schlug.
Ob er noch lebte.
Wieder musste sie sich förmlich zwingen, weiterzulaufen. Es gab nichts, was sie für Jake tun konnte. Als sie einen Sicherheitsabstand zwischen ihre Familie und den Strand gebracht hatte, blieb sie schließlich stehen und zückte ihr Handy. Mit
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