Schenk mir diese Nacht
Gaye jedoch, dass ihre Hoffnungen vergebens gewesen waren. Jonathan wusste genau, wer ihre Mutter war!
Warum, um alles in der Welt, hatte ihre Mutter die Tür aufmachen müssen?
Und was meinte sie mit der Bemerkung, dass Richard sie gefunden habe? War Richard etwa hier gewesen? War sein Auftauchen im "Swan" gar kein Zufall gewesen?
Bei dem Gedanken, dass Richard ihre Mutter aufgesucht haben könnte, wurde Gaye beinahe übel. Warum war er hier gewesen? Was hatte er gewollt?
Und, was momentan noch wichtiger war, was sollte sie Jonathan sagen? Er hatte sich gerade verabschieden wollen, doch nun machte er den Eindruck, als wollte er in nächster Zukunft nirgendwo hingehen.
Sie konnte es ihm nicht verdenken ...
6. KAPITEL
Fassungslos blickte Jonathan Gayes Mutter an. Diese
außergewöhnliche Figur, obwohl sie, Gayes Worten zufolge, Mitte sechzig war. Diese Stimme! Auch Gaye besaß dieses unterschwellig sinnliche Timbre. Und das Lachen ihrer Mutter.
Und das wundervolle honigblonde Haar.
Es war einfach unglaublich.
"Möchten Sie nicht auf einen Kaffee hereinkommen?" fragte Gayes Mutter liebenswürdig. "Das ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann, nachdem ich Sie mit jemand anders verwechselt habe."
Jonathan spürte, wie Gaye ihn im Stillen anflehte. Aber er konnte ihr diesen stummen Wunsch nicht erfüllen. Sie verlangte das Unmögliche.
"Geh schon vor, und setz den Kaffee auf, Mummy", schlug Gaye ruhig vor, ehe er etwas erwidern konnte. "Jonathan und ich kommen gleich nach."
Nach einem weiteren bezaubernden Lächeln zog Gayes
Mutter sich in den hinteren Teil des Hauses zurück. Vermutlich, um Kaffee zu machen.
Jonathan war wie betäubt. Marilyn Palmer, die weltberühmte Schauspielerin war Gayes Mutter!
Als Teenager hatte er Marilyn Palmer förmlich angebetet.
Obwohl sie bereits über vierzig gewesen war, hatte sie dank ihrer Schönheit und Warmherzigkeit Bühne und Leinwand beherrscht. Und wann immer er Marilyn Palmer im Kino oder auf dem Bildschirm bewundert hatte, war ihm die Frage nicht aus dem Sinn gegangen, warum seine eigene Mutter nicht wenigstens etwas von diesem Charme besaß, warum seine eigene Mutter nicht lachte und ebenso glücklich aussah.
Wenn Marilyn Palmer Gayes Mutter war, dann verdankte sie den Familiennamen Royal...
"Terence Royal." Gaye schien seine Gedanken erraten zu haben. "Ja, er war mein Vater." Ihre Stimme zitterte vor Kummer, als sie den großen, grauhaarigen Mann erwähnte, der eine unnachahmliche Würde ausgestrahlt hatte.
Terence Royal und Marilyn Palmer ...
Zwei der Ikonen von Film und Theater. Das goldene Paar der darstellenden Kunst. Die beiden waren fast vierzig Jahre verheiratet gewesen, als Terence Royal tragischerweise bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.
Auf einmal begriff Jonathan, warum sich so grenzenloser Kummer in Gayes schönen grünen Augen widerspiegelte. Ihre Familie, die "herrliche Kindheit", die "wundervollen Eltern" - all das war vor zwei Jahren durch den Tod ihres Vaters zerstört worden. Und vor zwei Jahren war sie mit Richard Craven verlobt gewesen...
Gaye hatte sein wechselndes Mienenspiel beobachtet. "Meine Verlobung endete in der Nacht, als mein Vater starb. Ich besuchte Richard in seinem Apartment, um ihm die
schrecklichen Neuigkeiten mitzuteilen, und traf ihn zusammen mit Seiner damaligen Freundin im Bett an."
Ihre Stimme verriet nicht die geringste Gefühlsregung, doch es bedurfte keiner übermäßigen Phantasie, um zu erkennen, welche Verzweiflung sie in jener Nacht durchlebt hatte. Sie hatte nicht nur ihren geliebten Vater verloren, sondern kurz darauf herausgefunden, dass ihr Verlobter sie betrog. Plötzlich wollte Jonathan Richard Craven mehr als nur verprügeln, am liebsten hätte er ihn auf der Stelle...
"Meine Mutter erwähnte vorhin Richard", bemerkte Gaye nervös. "Meinst du..."
"Am besten gehen wir hinein und fragen sie." Energisch nahm Jonathan sie am Arm und zog sie mit sich ins Haus.
Sie blieb stehen. "Meine Mutter ... Der Unfall hat sie verändert", sagte sie stockend.
"Inwiefern?"
Gaye zitterte leicht. "In jeder Hinsicht. Der Verlust meines Vaters war ein großer Schock für sie. Ich ... Es ist schwer zu erklären."
"Dann versuch es erst gar nicht." Er drückte besänftigend ihren Arm. "Ob du es glaubst oder nicht: Ich bin ein ziemlich intelligenter Mann - sofern ich nicht in deiner Nähe bin. Sobald du auftauchst, benehme ich mich allerdings wie ein Narr", gestand er. "Aber ich verspreche dir, dass ich
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