Schenk mir mehr als diese Nacht
einer Frau zusammen gewesen war. Falls überhaupt! Außerdem war da schon wieder dieses seltsame Gefühl von Verlust … und von Verletzlichkeit, so ungern er sich das auch eingestand.
Doch wie könnte die Lösung für dieses unerwartete Problem aussehen?
Aneesa zu seiner Dauergeliebten zu machen, kam nicht infrage. Bis gestern Abend war sie noch Jungfrau gewesen! Am besten, er sah sie nie wieder und legte seine völlig unangebrachten Emotionen einfach ad acta.
Mit frisch gewaschenem Haar kehrte Aneesa aus dem Bad zurück und fühlte sich schon viel wohler. Das Schlafzimmer war verwaist, und als sie sich auf die Suche nach Sebastian machte, fand sie ihn im Wohnzimmer.
In dem grauen Businessanzug und dem schneeweißen Hemd wirkte er ziemlich einschüchternd. Er telefonierte mit irgendjemandem auf Spanisch. Als er sie bemerkte, griff er nach einer großen Einkaufstüte und hielt sie auffordernd hoch. Mit einem gemurmelten Dankeschön nahm Aneesa sie ihm ab und flüchtete zurück ins Schlafzimmer.
In der Tüte waren Unterwäsche, Jeans, flache Schuhe, ein T-Shirt und ein Baseball-Cap. Seine Umsicht zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, das noch breiter wurde, als sie eine riesige, dunkle Sonnenbrille aus der Tüte holte. Nachdem sie sich angezogen und das lange Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und unter der Kappe verborgen hatte, setzte Aneesa die Brille auf und erkannte sich selbst nicht mehr im Spiegel.
„Ich hoffe, die Größe ist richtig.“
Sie wirbelte herum und sah Sebastian lässig im Türrahmen lehnen. „Ja, danke. Alles ist perfekt. Leider habe ich kein Geld bei mir, um die Sachen …“
Ungeduldig winkte er ab. „Das ist unwichtig“, entschied er und sah auf seine Uhr. „Ich befürchte, ich muss sofort aufbrechen. In zwanzig Minuten werde ich zu einem wichtigen Meeting am anderen Ende der Stadt erwartet.“
„Natürlich, du hast zu tun“, flüsterte Aneesa erstickt und versuchte, den sengenden Schmerz in ihrer Brust zu ignorieren. „Meine Eltern werden sich inzwischen die größten Sorgen machen. Ich sollte so schnell wie möglich zu ihnen und ihnen alles erklären.“
„Und Jamal?“
Ihr Lachen klang künstlich. „Ach, der hat das Überleben in der Fantasiewelt von Bollywood zu einer Art Kunstform gemacht und wird schon zurechtkommen. Wahrscheinlich bastelt er längst an seiner neuen Rolle als tragisches Opfer.“
„Ich kenne einen guten PR-Mann, falls du Hilfe brauchst“, bot Sebastian an.
„Danke, aber das ist nicht nötig. Mein Agent wird sich um alles kümmern.“ Natürlich wusste sie, dass Sebastian nur höflich sein wollte. Trotzdem konnte sie es nicht fassen, mit was für unwichtigen Plattitüden sie die letzten kostbaren Minuten verschwendeten. War das nicht der schlagende Beweis dafür, dass ihm die letzte Nacht nicht annähernd so viel bedeutet hatte wie ihr?
Sebastian schien noch etwas sagen zu wollen. Doch dann kam er mit schnellen Schritten auf Aneesa zu und legte eine Hand unter ihren Ellenbogen. „Komm, ich nehme dich mit nach unten und lasse dich durch den Hinterausgang aus dem Hotel. Dort wartet ein Wagen auf dich.“
Sie nickte knapp, zog sich das Baseball-Cap tiefer ins Gesicht und griff nach der Hochglanztüte, in der sie ihr Hochzeitsgewand verstaut hatte. Die Fahrt mit dem Personallift, der sie gestern ins Penthouse gebracht hatte, erlebte sie wie in Trance. Unter ihren Lidern brannten heiße Tränen, während sie an Sebastians Seite endlose Gänge entlangwanderte, die zu dem erwähnten Hinterausgang führten. Davor stand eine dunkle Luxuslimousine mit getönten Scheiben.
Einen Moment rang Aneesa um Fassung. Dann atmete sie tief durch und schaute mit gequältem Lächeln zu Sebastian. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, die gletscherblauen Augen begegneten ruhig ihrem flackernden Blick.
„Ich … ich möchte dir noch einmal für alles danken“, murmelte sie. „Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du nicht …“
„Du musst mir für gar nichts danken“, unterbrach er sie brüsk. „Die letzte Nacht mit dir verbringen zu dürfen, war eine Ehre für mich. Selbst wenn der Anlass dafür deine geplatzte Hochzeit war. Nichts von dem, was wir miteinander geteilt haben, werde ich je bereuen. Aber du weißt ebenso gut wie ich, dass es hier und jetzt enden muss, oder?“
Während sie nickte, spürte sie, wie etwas in ihr zerbrach. Wie sollte sie es nur schaffen, ihren Blick endgültig von ihm abzuwenden und die wenigen Schritte bis zur
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