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Schenkel, Andrea M

Schenkel, Andrea M

Titel: Schenkel, Andrea M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bunker
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wie immer Joachim am Rockzipfel hängen. Ich musste ihn überall mit hinnehmen, diese kleine blöde Nervensäge. Nie allein, ständig war er dabei. Wie eine Klette. Unterwegs hat er uns belauscht und zu Hause dann verpfiffen. Alte Petze, klar, dass er mir auf die Nerven ging! Auf dem Bild hat er diese scheußlichen blauen Stoffschuhe an, hellblau mit gestreiften Schnürsenkeln. Die vergesse ich nie! Und das Gejammer, »Kann nicht mehr!«, »Rast!«, »Durst!«. Als ich ihm dann nachgegeben habe und wir in der Gaststätte der Kleingartenanlage einkehrten, wie hieß die noch mal?, ›Land in Sonne‹, sind in meiner Geldbörse nur noch fünfzig Pfennige! Und er, das kleine Miststück, hat getan, als wüsste er von nichts. Gewunden hat er sich und geschrien wie blöd. Alle Leute haben uns schon angeschaut. Vom Nachbartisch ist einer aufgestanden und wollte mich zur Rede stellen. Bis ich Joachim seinen Geldbeutel aus der Hosentasche gezogen habe. Da hab ich sie gefunden, die fünf Mark fünfzig! Er war ein kleiner Dieb! Er hatte es nicht zum ersten Mal getan, nur diesmal hatte ich ihn erwischt.
    Aber warum das Bild? Kennt er mich von früher, aus meiner Kindheit? Oder Joachim? Ich hab keine Ahnung.
    Ich liege da, in meinen Gedanken bin ich weit weg. Ich denke an das Dorf, die Wiesen im Sommer. Saftiges Gras, kniehoch. Ich kann mich an den lauen Wind erinnern und daran, wie ich mit wehendem Kleid und hüpfenden Zöpfen über die Wiesen laufe. Wenn ich die Augen schließe, spüre ich noch immer die warmen Strahlen der Sonne auf meinem Gesicht. Ich laufe und hüpfe auf dem weichen Gras, bis ich aus der Puste bin. Die Hände auf die nackten Knie gestützt, atme ich tief ein und aus. Habe den Geruch der frisch gemähten Wiese in der Nase. Es riecht erdig und grün. Ich möchte gerne auf der schönen Wiese bleiben.
    Durch das Knarren der Dielenbretter werde ich aus meinen Erinnerungen gerissen. Ich lasse die Augen geschlossen, stelle mich schlafend. Selbst ein Tagtraum ist besser als die Wirklichkeit. Ich höre Schritte im Raum und wie mit einem Rums die Falltür zufällt. Erst jetzt öffne ich die Augen, richte mich im Bett auf, auf dem Tisch stehen Essen und Getränke. Und wie fürsorglich, auch die volle Tüte hat er weggetragen und eine neue auf die Kommode gelegt!
    Nach dem Essen wieder Langeweile. Langsam verliere ich jedes Gefühl für Zeit. Ich habe mich seit einer Ewigkeit nicht mehr gewaschen. Meine Zähne fühlen sich pelzig an, wenn ich mit der Zunge über die Oberfläche fahre. Ich fange bestimmt schon an zu stinken. Wie lange bin ich schon hier? Ich schlafe, wache auf, esse, döse vor mich hin, schlafe wieder. Der Himmel ist bewölkt, im Zimmer wird es nie richtig hell. Die Petroleumlampen sind noch da, aber er hat sie wieder nicht angezündet, und Streichhölzer sind keine zu finden. Ich hab überall danach gesucht. Vermutlich traut er mir den Umgang mit Feuer nicht zu. Ebenso wenig wie den mit Wasser und Seife. Aber er lässt mich wenigstens in Ruhe.
    Neonröhren erleuchten den Flur. Das Licht ist kalt und grell. Durch die mattierten Scheiben der Notaufnahme ist das Blaulicht des Rettungswagens als verschwommener, regelmäßig wiederkehrender Streifen zu erkennen. Die Flügel der großen gläsernen Tür öffnen sich automatisch, gleiten lautlos zur Seite.
    Lärm, Schritte, Rufe.
    Die Rettungssanitäter fahren eilig die verletzte Person herein, hetzen, die Trage vor sich her schiebend, den Flur entlang.
    Krankenschwester und Pfleger laufen ihnen entgegen, übernehmen die Trage. Ein Blick und sie erkennen den Ernst der Lage. Alles geschieht schnell, wortlos. Die Trage wird in die Reanimationseinheit geschoben.
    Ich sitze auf der Bank des Kinderspielplatzes gegenüber der Sandkiste und warte. Von hier kann ich den Eingang des Hauses beobachten, ohne gesehen zu werden. Sie ist pünktlich. Wie immer verlässt sie das Haus um halb neun Uhr morgens. Und wie jeden Tag trägt sie den beigefarbenen Mantel. Die Tasche an der Schulter. Die Hand um den ledernen Trageriemen. Sie geht den Weg am Spielplatz entlang zur Bushaltestelle. Ich ducke mich ein wenig. Den Kopf gesenkt, den Blick auf meine Turnschuhe gerichtet. Sie soll mich nicht sehen, soll mich nicht wahrnehmen. Sie geht an mir vorüber. Ich sehe ihr nach, sehe, wie sie an den Mülltonnen vorbei in Richtung Bushaltestelle geht.
    Ich stehe auf, folge ihr, eine alte Zeitung in der Hand. Bleibe auf Höhe der Mülltonnen stehen. Ich öffne den Deckel der Tonne, werfe

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