Scherben der Ehre
nicht. Sie ziehen es vor, die Dinge erscheinen zu lassen, als beruhten sie auf einer zwanglosen Basis. Ich weiß den Unterschied zu erkennen.«
»Sie sind eine sehr interessante Person, Captain Naismith.«
»Na ja, es gibt hier mehr von Ihrer Sorte als von meiner. Falls ich mich bereit finde, mit Ihnen zu reden, werden Sie dann Ihre übrigen Wachhunde abziehen?«
»Ich bin hier, damit Sie mit mir reden können – aber nur, wenn Sie dazu bereit sind.«
»Also, fragen Sie mich, was Sie wissen wollen. Bringen wir’s hinter uns, damit wir uns beide entspannen können.« Ich könnte mir dabei ein bisschen Therapie zunutze machen, dachte Cordelia versonnen. Ich fühle mich lausig …
Sprague setzte sich aufs Bett, ein sanftes Lächeln im Gesicht und äußerste Aufmerksamkeit im Blick. »Ich will versuchen Ihnen zu helfen, sich daran zu erinnern, was während der Zeit geschah, als Sie als Gefangene an Bord des barrayaranischen Flaggschiffs waren. Dass Sie das, wie entsetzlich es auch immer war, in Ihr Bewusstsein heben, ist Ihr erster Schritt zur Heilung.«
»Hm, ich glaube, wir haben gegensätzliche Absichten. Ich erinnere mich an alles, was während dieser Zeit geschah, mit äußerster Klarheit. Ich habe keine Schwierigkeiten, es in mein Bewusstsein zu heben. Ich hätte es jedoch gern aus meinem Bewusstsein raus, wenigstens lang genug, um dann und wann schlafen zu können.«
»Ich verstehe. Fahren Sie fort. Schildern Sie doch einfach mal, was geschehen ist?«
Cordelia gab einen Bericht über die Ereignisse, von dem Zeitpunkt des Wurmhochsprungs von Kolonie Beta aus bis nach dem Mord an Vorrutyer, hörte aber vor Vorkosigans Eintreten auf, wobei sie vage sagte: »Ich versteckte mich ein paar Tage lang an verschiedenen Stellen auf dem Schiff, aber am Ende schnappten sie mich doch und steckten mich wieder in das Schiffsgefängnis.«
»So, so. Sie erinnern sich nicht daran, dass Sie von Admiral Vorrutyer gefoltert oder vergewaltigt wurden, und Sie erinnern sich auch nicht daran, dass Sie ihn getötet haben.«
»Ich wurde nicht gefoltert oder vergewaltigt. Und ich habe ihn nicht getötet. Ich dachte, ich hätte das klargestellt.«
Die Ärztin schüttelte bekümmert den Kopf. »Uns wurde berichtet, dass Sie zweimal von den Barrayaranern aus dem Lager weggeholt wurden. Erinnern Sie sich daran, was dabei geschah?«
»Ja, natürlich.«
»Können Sie es schildern?«
Sie weigerte sich. »Nein.« Das Geheimnis der Ermordung des Prinzen würde den Escobaranern nichts bedeuten – sie konnten kaum noch mehr Abneigung gegen die Barrayaraner entwickeln, als sie ohnedies schon hatten –, aber schon das bloße Gerücht von der Wahrheit könnte sich auf die öffentliche Ordnung von Barrayar verheerend auswirken. Aufstände, Meuterei beim Militär, der Sturz von Vorkosigans Kaiser – das wären erst die Anfänge der möglichen Folgen. Wenn es einen Bürgerkrieg auf Barrayar gäbe, könnte Vorkosigan dabei getötet werden? Gott, bitte, dachte Cordelia, keine Toten mehr …
Sprague blickte schrecklich interessiert drein. Cordelia kam sich vor, als hätte man sie überfallen. Sie korrigierte sich: »Es ging um einen meiner Offiziere, der während der betarischen Erkundigung dieses Planeten getötet worden war. Sie wissen davon, hoffe ich?« Die Ärztin nickte. »Die Barrayaraner haben auf meine Bitte hin Maßnahmen getroffen, um eine Gedenktafel auf seinem Grab aufzustellen. Das ist alles.«
»Ich verstehe«, seufzte Sprague. »Wir hatten einen anderen Fall wie den Ihren. Das Mädchen wurde auch von Vorrutyer oder einem seiner Männer vergewaltigt, und die barrayaranischen Mediziner haben es vertuscht. Ich nehme an, es ging ihnen darum, seinen Ruf zu schützen.«
»Oh, ich glaube, ich bin ihr begegnet, an Bord des Flaggschiffs. Sie war auch in meiner Unterkunft, stimmt’s?«
Spragues überraschter Blick bestätigte Cordelias Vermutung, obwohl die Ärztin eine kleine vage Geste machte, um auf die Schweigepflicht ihres Berufes hinzuweisen.
»Bei ihr haben Sie recht«, fuhr Cordelia fort. »Ich bin froh, dass sie bekommt, was sie braucht. Aber bei mir liegen Sie falsch. Sie haben auch nicht recht, was Vorrutyers Ruf angeht. Der ganze Grund, warum man diese dumme Geschichte über mich in Umlauf gebracht hat, war der Gedanke, es würde für ihn noch schlimmer aussehen, wenn er von einer schwachen Frau umgebracht wurde, anstatt von einem seiner eigenen Kampfsoldaten.«
»Die physischen Befunde Ihrer medizinischen Untersuchung
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