Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
doch sie ließ ihn seinen Satz nicht beenden.
»Das soll heißen, dass er niemals wieder gesehen wurde, nachdem die Nachbarn einen Streit meldeten und die Polizei Blut von ihm in seiner Wohnung fand. Sie konnten nur nichts beweisen, weil er einfach weg war …«
Jonas befreite seinen Arm aus ihrer Umklammerung. »Du spinnst ja!«, stieß er hervor und trat einen Schritt zurück.
Tamara zuckte mit den Achseln, auch wenn sie dabei nicht gleichgültig wirkte. »Wenn du meinst. Aber eins sollst du noch wissen: Vanessa und ich haben uns gestern getro ffen. Ich bin ihre Freundin, verstehst du, und es ist meine Aufgabe, nur das Beste über sie zu denken. Doch gestern hat sie mir Angst gemacht. Sie ist so anders … so verändert. Etwas muss passiert sein, was sie mir nicht erzählen wollte … und ihre Meinung über dich hat sich drastisch geändert. Sie sagte immer, wenn sie erst einmal mit dir fertig sei, würdest du es bereuen, was du ihr angetan hättest. Ich weiß auch nicht … ich dachte nur, du solltest das wissen. Damit du die Augen offen halten kannst.«
Jonas nickte schwach. »In Ordnung, das werde ich.«
Dann drehte er sich um und ging davon. Er sollte die Augen offen halten? Diese Tamara hatte gut reden! Wie sollte ihm das gelingen, wenn er mit Vanessa in einem Bett schlief? Was hielt sie davon ab, ihm nicht einfach in der Nacht ein Kissen auf sein Gesicht zu drücken? Vielleicht hatte sie bereits mit einem Messer über seiner Brust dagesessen und nur nichts getan, um sich die Vorfreude zu bewahren. Sie wollte ihn zappeln lassen. Sie wollte ihm Angst machen. Für das, was er ihr angetan hatte. Aber was hatte er ihr angetan? Was war es, was sie wusste? Er dachte wieder an Thox. Und an das Blut an Vanessa, ihr damit überzogener Körper, als wäre es ihr eigenes. Aber das war es nicht gewesen. Es hatte Thox gehört, und es gab nichts mehr, was Jonas von dieser Erkenntnis abbringen konnte.
War Thox tot? Hatte sie ihn um die Ecke gebracht, wie sie es bei Lennart gemacht hatte? Eins jedenfalls war sicher: V anessa war wahnsinnig, und Jonas wusste, dass einer von ihnen beiden ihre Rückkehr aus Thox Gewalt nicht überleben würde!
Donnerstag, 07. August
Jonas bemühte sich, Vanessa so gut es ging aus dem Weg zu gehen – doch es ging nicht gut. Überall, wo er war, war auch sie, und überall, wohin er ging, folgte sie ihm. Zu Hause ve rließ er demonstrativ den Raum, wenn sie zu ihm kam und wählte als Schlafplatz wieder seine Couch. Doch das änderte nichts an dem schlechten Schlaf, an dem ausnahmsweise nicht die Couch schuld war. Immer wieder schreckte er aus Träumen hoch, in denen sich Vanessa über ihn beugte und ihn bösartig anlächelte. Ihm war mittlerweile egal, dass sie seine Distanz bemerkte. Es gab kaum noch einen Grund, ein Geheimnis daraus zu machen.
Am Abend des Donnerstags setzte sich Vanessa irgen dwann neben Jonas auf die Couch. Er sah sich gerade eine Sendung im Fernsehen an – zumindest täuschte er die Aufmerksamkeit glaubhaft vor. Sie machte es sich neben ihm bequem, legte die gebeugten Beine neben sich und ließ sich ebenfalls von dem Fernsehprogramm berieseln. Jonas hatte keine Ausdauer mehr, einfach aufzustehen und den Raum zu verlassen. Und da auch Vanessa sorgsam darauf bedacht schien, dass es zu keinem Körperkontakt kam, nahm er ihre Gegenwart an diesem Abend einfach hin.
Doch mit ihr kamen erneut die Gedanken. Wer war diese Frau, die doch eher wie ein Mädchen wirkte, hübsch zwar, vielleicht sogar schön, aber mit einer schwarzen Seele, die sie von innen aufgefressen hatte? Wie konnte es sein, dass ihm dieser Fehler unterlaufen war, und er statt Friederike Munter den faulen Apfel gewählt hatte, der ihm nun alles r uinierte?
Vanessa sah ihn plötzlich an, und Jonas erkannte entsetzt, dass er sie die ganze Zeit über von der Seite angestarrt hatte. »Was ist?«, fragte sie ruhig.
Jonas zuckte gleichgültig die Achseln und sah wieder zum Fernseher. »Darf ich dich nicht ansehen?«
Vanessa schwieg eine Weile, doch Jonas konnte spüren, dass sie ihn eingehend betrachtete. Ihre Augen lagen schwer wie eine übergewichtige Seekuh auf seinem Körper. Schlie ßlich fragte sie geradezu heiter: »Und, wann wirst du mich umzubringen?«
Jonas glaubte, es müsse sich an seiner unangenehmen Ve rblüffung verschlucken, so sehr sog er erschrocken die Luft ein. »Sag mal, spinnst du? Das ist nicht witzig.« Wie konnte es sein, dass dieses dumme, einfältige und nutzlose
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