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Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Titel: Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ruhkieck
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rdern, worüber sie sich wieder ärgern konnte. Wenn man sie so ansah, würde man gar nicht glauben, dass sie so einen verdorbenen Charakter besaß. Noch recht jung – gerade 20 – hatte sie schwanger heiraten müssen, und auch heute war sie noch sehr ansehnlich, schlank und mit schulterlangen, blond gefärbten Haaren und einem stets rot angemalten Mund. Und sie wusste, dass sie gut aussah. Sie benutzte ihre äußere Erscheinung, um die Leute zu täuschen und um den Finger zu wickeln, damit niemand bemerkte, wie sie wirklich war.
    Zunächst beantwortete Nicky ihre Frage nicht. Eigentlich war ohnehin keine Reaktion notwendig, da alleine der abst oßende Geruch des Essens für sich sprach. Trotzdem wollte er zuerst die Antwort seines Vaters abwarten. Doch dieser sagte nichts – er sprach für gewöhnlich nicht viel. Möglicherweise war er so schweigsam, weil er erkannt hatte, dass dies der einzige Weg war, gegenüber seiner Frau nicht das Falsche zu sagen. Nicky verachtete ihn dafür. So ein verweichlichter Waschlappen, der alles mit sich machen ließ und lieber seinen Mund hielt als seine Meinung zu sagen – vorausgesetzt er hatte überhaupt eine – hatte keinen Respekt verdient.
    Also blieb die Antwort an Nicky hängen, da seine Mutter nicht eher Ruhe geben würde, bis sie eine bekommen hatte.
    »Ja, es schmeckt«, sagte er, den Blick starr auf seinen Teller gerichtet, auf dem immer noch zu viel von der undefinierbaren Pampe in ihrem Fett schwamm.
    Plötzlich knallte seine Mutter ihr Besteck auf den Tisch und Nicky fuhr erschrocken zusammen. Er wusste, was nun ko mmen würde.
    »Es schmeckt also, ja? Was genau soll das eigentlich bede uten? Und warum siehst du mich nicht einmal an, wenn du mit mir sprichst?«, zischte sie ihn bedrohlich an. Nicky gab sich stets Mühe, seine Mutter nicht zu verärgern, doch egal was er sagte oder tat, es machte sie immer wütend.
    Er rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her und sah sie an. »Tut mir leid. Das Essen schmeckt gut.«
    Für einen Augenblick erwiderte sie seinen Blick, als wollte sie prüfen, ob er ihr standhalten konnte. Vielleicht suchte sie aber in seinen Augen auch nur nach einem Grund, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen. Und den gab er ihr, als er den Blick abwendete. Doch er konnte ihr einfach nicht länger in die Augen sehen, ohne den Drang zu verspüren, das Haus zu verlassen und niemals wiederzukommen.
    Sie faltete ihre Hände auf dem Tisch – eigentlich eine har mlose Geste, doch nicht bei seiner Mutter. Bei ihr bedeutete dies, dass das Spiel begonnen hatte. Sie wollte überlegen, bedacht und vernünftig wirken, als wäre sie im Recht, nur um zu vertuschen, wie bösartig sie tatsächlich war.
    »Warum tust du mir das immer wieder an?«, fragte sie plöt zlich mit vorwurfsvoller Stimme.
    »Was denn?«, rutschte es Nicky entnervt heraus. Für e inen Augenblick hätte er sich dafür die Zunge abbeißen können, doch dann wurde ihm klar, dass es vollkommen egal war, was er sagte; auf diese Frage gab es keine richtige Antwort. Nicht für sie.
    »Sag mal, wie sprichst du eigentlich mit mir?«, keifte sie ihn an. Ihre Hände w aren immer noch auf dem Tisch gefaltet, doch nun begannen sie, einander unruhig zu kneten. Sie rang um ihre Fassung. Der äußere Schein war ihr lächerlich wichtig. Und Nicky spürte, wie sich der Widerstand in ihm regte. Das geschah oft, obwohl er für gewöhnlich versuchte, ihre Ausbrüche stillschweigend über sich ergehen zu lassen, um es nicht noch schlimmer zu machen. Doch auch jetzt wieder packte ihn der zerstörerische Wille, ihr zu trotzen und sich selbst treu zu bleiben. Zu seinem eigenen Nachteil – und da war er seiner Mutter ähnlicher als ihm lieb war – hatte er keine Kontrolle über die Wut und das zwingende Verlangen, sich zu wehren. Dies hatte jedoch meist zur Folge, dass er die schlimmsten Tage seines Lebens erlebte, und darauf hatte er keine Lust.
    »Ich mach doch gar nichts«, sagte er ruhig, obwohl er wus ste, dass seine Worte viel zu provokativ hervorgekommen waren.
    Die Knöchel an den Händen seiner Mutter verfärbten sich weiß, und ihr Gesicht wirkte verzerrt und hässlich. »Zügel deine Zunge, junger Mann«, sagte sie, und ihre Stimme hatte den bekannten schrillen Ton angenommen. Sie war wie ein Wasserkessel auf dem Herd, und sie war kurz davor, den Si edepunkt zu erreichen. Dabei hatte er doch wirklich nichts getan! Nicky warf kurz einen Blick zu seinem Vater, doch seine Vermutung, dort kein

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