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Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Titel: Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ruhkieck
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Nähe der Hauptstraße – dies bedeutete in Lübbewirtz lediglich, dass dort zwei Mal am Tag ein Auto vorbei kam – gegangen war. Damals interessierte es ihn nicht, doch an diesem Tag war er froh, diese scheinbar belanglose Erinnerung gespe ichert zu haben.
    Doch als er jetzt in der Hitze des Nachmittags vor Stines Haus stand, wusste er nicht, was er eigentlich hier suchte. Hinter einem Baum versteckt, beobachtete er das etwas schäbige Haus und fragte sich, warum er tatsächlich g eglaubt hatte, genug Courage zu besitzen, um einfach an ihre Tür zu klopfen.
    »Verfolgst du mich?«, hörte Nicky plötzlich eine misstrau ische Stimme hinter sich, und er fuhr erschrocken herum. Vor ihm stand Stine, mit verschränkten Armen und einem Blick, der Ablehnung und Furcht widerspiegelte.
    »Natürlich nicht! Warum sollte ich?«, antwortete Nicky e twas zu hastig und spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Stine sah an diesem Tag besonders hübsch aus. Sie trug wieder eine dieser kurzen, elastischen Shorts, zudem ein bauchfreies und ärmelloses schwarzes Top.
    Seine Antwort schien sie zu beruhigen, und sie löste ihre A rme aus der ablehnenden Verschränkung. »Du könntest mich verfolgen, weil du mir noch ein Eis schuldest.«
    Nickys Herz setzte vor Freude aus. »Das habe ich ganz ve rgessen!«, flunkerte er möglichst lässig, um sich nicht anmerken zu lassen, wie viel ihm das bedeutete.
    »Oh«, flüsterte Stine verlegen, und nun errötete auch sie.
    »Na ja, eigentlich habe ich es nicht vergessen.« Er wollte sie nicht verschrecken, und schon gar nicht sollte sie glauben, er hätte kein Interesse. »Dann hast du mich doch verfolgt?«
    »Wie kommst du darauf?« Es kam ihm vor, als würde sie ihn testen, prüfen, ob er die Antworten gab, die sie hören wollte. Vielleicht war Stine aber auch nicht so durchtrieben, sondern nur vorsichtig und unsicher.
    Ahnungslos zuckte sie mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Wir wohnen seit Jahren im selben Dorf und haben uns nur in der Schule gesehen. Und jetzt treffen wir uns zwei Mal in einer Woche.«
    »Das ist Zufall.«
    Und tatsächlich erwiderte sie sein Grinsen. »Heißt das, ich bekomme jetzt das Eis?«
    Gemeinsam gingen sie zur nächstgelegenen Eisdiele. Wi eder wollte sie nur Vanille und Schokolade, und Nicky sah sich gezwungen, die gleichen Geschmacksrichtungen für sich auszuwählen, um nicht als Lügner dazustehen.
    Mit den Eistüten in den Händen setzten sie ihren Spaziergang fort, während ihnen das Eis über die Finger floss und auf die Schuhe tropfte.
    »Wo ist eigentlich dein Freund, mit dem du immer in der Schule rumhängst?«
    »Conny? Ach, sein Vater hat ihn mal wieder eingesperrt.«
    »Oh, das tut mir leid«, sagte sie bedrückt, und ihre Miene verdunkelte sich. Nicky war von Stines Mitgefühl überrascht. Connys schlechtes Elternhaus sollte nicht seinen gemeinsamen Nachmittag mit ihr verderben.
    »Es muss dir nicht leid tun. Er ist selbst schuld«, sagte er unbedacht.
    Plötzlich blieb Stine stehen und starrte ihn verwirrt an. »Ist das so?«, fragte sie betroffen. »Wir Kinder sind verantwortlich für das, was Erwachsene uns antun?«
    Nicky hatte plötzlich ein komisches Gefühl. »Wie meinst du das?«
    Stine wirkte abwesend und unnatürlich blass, wie ein verschrecktes Reh, und Nicky verspürte den Impuls, sie anzufassen, an der Schulter oder am Arm, um sie zu beruhigen, doch er tat es nicht.
    »Es ist nur … Ach, nichts« Dann ging sie entschlossen we iter, als hätte diese Unterhaltung nie stattgefunden. Nicky folgte ihr, auch wenn ihn das Gefühl nicht losließ, dass Stine vor ihm weglief.
    »Du wohnst bei deiner Mutter, oder?«, fragte er vorsic htig.
    Stine ging weiter, nicht hastig, aber doch wie von unsichtb aren Schnüren gezogen. »Ja. Und meinem Onkel«, antwortete sie gedehnt, ohne Nicky anzusehen.
    »Und, wie ist das so?« Er wusste nicht, warum ihn das übe rhaupt interessierte. Vielleicht wollte er einfach nur hören, dass es ihr gut ging – besser als ihm. Denn ihr Verhalten an diesem Nachmittag ließ ihn fürchten, dass etwas bei ihr zu Hause nicht in Ordnung war.
    Stine blieb abermals stehen, und jetzt war sie es, die se inen Arm anfasste. Ihre kleine kalte Hand schloss sich um sein Handgelenk, nur ganz vorsichtig, und sie sah ihn zögerlich an. Ihr Kopf kam näher, ihre Lippen näherten sich seinem Ohr, und dann sagte sie leise: »Ich glaube, meine Mutter mag mich nicht besonders. Sie lässt …« Stine brach ab und schreckte zurück.

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