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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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rupfen. Er hatte den kompletten Text drauf. Sein Grinsen war manisch, so etwas hatte ich vorher nie gesehen, hätte ich mir nie vorstellen können. Später versuchte ich bewusst so zu lächeln, aber es gelang mir nicht. Meine Gesichtsmuskeln dehnten und spannten sich nicht auf dieselbe Art. Aber der Mann hatte meinen Pferdeschwanz. Und meine breiten Daumen. Mein Verstand sagte mir, dass ich es war, und ich hatte Blasen an den Füßen, dennoch …
    Das konnte nicht sein. Es war jemand, der mir ähnlich sah, ganz bestimmt. Aber ich erinnere mich nicht, als hätte man mich für die Dauer des Stücks auf Pause gestellt, als hätte sich der Archetyp des Vater Karamasow meinen Körper geborgt, um zu rasen, zu toben und mir zu zeigen, wie das geht. Das Band lief, und er marschierte. Asmir analysierte, lobte, nörgelte, beglückwünschte sich.
    »Das ist der Hammer«, sagte er. »Ihr müsst euch mal klarmachen, was wir mit diesem Stück zustande gebracht haben.«
    Ich saß einfach nur da, rieb mir den Daumen am Handgelenk und spürte die Hitze, die mir bewies, dass ich wirklich da war.
    Nach der Aufführung war es zu einem Vorfall gekommen. Brada und die anderen vom Torso Theater hatten uns alle ins grüne Zimmer bestellt und liefen zwischen uns umher wie Inspektoren vom Gesundheitsamt in einem zweifelhaften Lokal. Sie hatten sogar lange Mäntel an. Irgendeine Bombewürde gleich platzen, das spürte man. Auf ihre Aufforderung hin setzten wir uns, sie selbst blieben wegen der besseren Wirkung stehen, Einschüchterung für Anfänger. Sie raunten einander zu, sprachen nicht mit uns, sondern warteten auf Asmir, der sich noch draußen unterhielt.
    »Was ist los?«, fragte einer. Die Antwort wurde gezischt. Offensichtlich waren ein paar Leute rausgegangen, weil sie mit dem Stück nichts anzufangen wussten. Weil sie es nicht verstanden. Sie machten es nieder. Verlangten ihr Geld zurück. Dazu kam, dass einige andere wegen des morgendlichen Bombardements gar nicht erst aufgetaucht und wir mit unseren Ensemblekarten recht großzügig umgegangen waren, sie an eine beträchtliche Anzahl Freunde und Verwandte verschenkt hatten, weshalb Geld, das hätte eingenommen werden sollen, nicht eingenommen worden war. Sie waren wütend.
    »Ihr müsst das Stück mindestens noch zehn Mal aufführen, nur um bei null rauszukommen«, sagte Brada boshaft.
    Danach herrschte Stille. Brada und seine Freunde standen an der Tür, die Hände vor dem Schritt verschränkt. Sie sahen aus wie kommunistische Politiker, die einem verstorbenen Genossen die letzte Ehre erweisen. Wir, die teilweise noch kostümierten Darsteller, die wir immer noch zwischen zwei Welten schwebten, uns zwischen Realität und Kunst wunderbar leer fühlten, versuchten so wenig Platz wie möglich einzunehmen und warteten darauf, dass sich irgendwas konkretisierte. Die Stille spielte uns Streiche, Sekunden wurden zu Stunden, aber als Asmir gefolgt von Bokal den Raum betrat, ließ das Gefühl bereits nach.
    »Das ist nur für Ensemblemitglieder«, versuchte Brada Bokal abzuwimmeln, der an ihm vorbeitrottete, als würde er gar nicht existieren.
    »Was interessiert’s dich?«, fragte Bokal tonlos, als würdeer mit sich selbst sprechen, gab mir fünf und setzte sich neben mich.
    »Tja, das war ja wohl die schlechteste Vorstellung des schlechtesten Stücks in der Geschichte des Universums«, sagte Brada zu Asmir.
    Ich blickte auf den Teppich.
    »Ich habe dir vertraut, dass du eine Aufführung inszenierst, die die Menschen sehen wollen, keine, nach der mir die Besucher drohen, die Scheibe einzuschlagen und mich im Kassenhäuschen zu erwürgen, wenn ich ihnen ihr Geld nicht wiedergebe.«
    Ich beschäftigte mich mit dem Teppichmuster, prägte es mir ein, die feinen Farbabstufungen, die Flecken, alles nur, um nicht ganz da zu sein. Asmir klang leise und verstört.
    »Wer soll hier beschwichtigt werden, die Einsichtsvollen oder die Gründlinge im Parkett? Und der Tadel von einem solchen muss in Eurer Schätzung ein ganzes Schauspielhaus voll von andern überwiegen. «
    »Was redest du da? Ich werde hier nicht mit dir debattieren. Wir nehmen das Torso-Logo vom Plakat, und du wirst diesen Mist so lange aufführen, bis die Kosten wieder drin sind. Dann kannst du machen, was du willst und mit wem du willst.«
    »Wenn ihr von Qualität nichts versteht, müsst ihr das mit Quantität wieder wettmachen«, sagte ein anderer der Älteren.
    Was als Nächstes geschah, hat mich für immer geprägt.
    Asmir

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