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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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Wäsch’ im Bergwind«. Komischer Vergleich, vielleicht war er Clementine zu danken, die ihr gern etwas von ihrem Lieblingsdichter Josef Weinheber vorlas. Der konnte so schöne Vergleiche erfinden. Dann aber mischte sich ins Frischgewaschene unverkennbar der Geruch von schwarzem Tabak ein, und sie hörte Frauenkichern. Zwei Kirschbäume sollen heute abgepflückt werden, die ersten dunkelroten Früchte des Jahres, nicht die beste Sorte, nur kurz haltbar. Diese Ernte muss schnell auf den Markt. Im Schatten unter den Bäumen standen, bereits gestapelt, die ersten flachen, schon gefüllten Kisten, mit frischem Laub bedeckt.
    Vier Männer und zwei Mädchen standen auf den Leitern, die ins Dunkel der Baumkronen hineingelehnt waren. Sie begrüßten Rotraud und besprachen das wundersame Ereignis. Auch die Obstbäume seien für ein paar Minuten »wie überzuckert« gewesen, so drückte es eine der Mägde aus. Die Gesichter der beiden Frauen waren vom dunkelroten Kirschsaft verschmiert. Von den Chilenen aber, mit ihren feuchten und ewig rauchenden Stängeln im Mundwinkel, würde nie einer auch nur eine Kirsche kosten.
    »Seid vorsichtig, reißt sie mit Stiel ab«, mahnte Rotraud die Pflücker. »Verletzte und angeschlagene Kirschen dieser Sorte verderben sofort.« Zu den Männern sagte sie: »Was bis kurz vor Mittag geerntet wird, müsst ihr auf den Pick-up laden. Trigo will die Kirschen mittags zum Markt bringen. Sie sollen noch an Silvester auf den Tisch kommen können.«
    Dann ging sie wieder den sanft ansteigenden Weg zurück. Der Morgen war ungewöhnlich schnell in einen sonnigen Tag umgeschlagen. Der Wind hatte sich gedreht, kam von Norden und brachte Stallgeruch; die Luft begann sich bereits zu erwärmen. Nur die Reinheit und Kraft, mit der die Farben aus den Wäldern, Feldern und Büschen herüberstrahlten, erinnerten noch an den kurzen, eisigen Schauer von vorhin. Sie atmete leidenschaftlich tief ein, als würde sie trinken: Diese würzige, anheimelnde Hof-Mischung aus Kot, Urin, Heu, Tierausdünstung und Schweiß – ihr blassrotes Mieder beengte sie nun, und die beiden Flecken auf der Brust wurden dunkler. Geübt im Kopfrechnen, überschlug sie schnell, wie viel man heute auf dem Markt mit den Kirschen wohl einnehmen werde.
    Freilich, der Obstgarten würde derzeit noch viel mehr einbringen, wenn sie schon vor Jahren begonnen hätten, die alten Bäume auszureißen, um neue und bessere Sorten zu pflanzen. Aber zuerst hatte Trigo einen Winter nach dem anderen verstreichen lassen, als ob er es vermeiden wollte, mit dem Abholzen seinem toten Vater weh zu tun; und im letzten Winter hatte er störrisch und geradezu triumphierend behauptet, jetzt sei es endgültig zu spät.
    Zu spät? Wenn doch nicht dieser bittere Unterton wäre – jetzt schon ein dauerhaftes Merkmal an Trigo – und gegenüber ihrem so lange anhaltenden Glücksgefühl langsam die Oberhand gewinnen würde! Jenem Glücksgefühl, das sie, als Vetriebenenkind mit einer kurzen Kellnerinnen-Lehre – dem wohl eine miefige, hinternkneifende Zukunft in Bochumer Kneipen bevorgestanden hätte –, schon bald nach ihrer Ankunft empfunden hatte: Es war ihr gelungen, rechtzeitig auszuwandern in dieses reiche, gastfreundliche Land, in dem die Arbeit sofort Früchte trägt und wo man mit einfachen Tricks nur einen Bruchteil seines Einkommens versteuert. Ihre Zukunft an Trigos Seite müsste gar nicht trüb aussehen: das geduldige Zusammenleben eines alternden Ehepaars, bei dem der – in der Regel gebrechlichere – Ehemann sich auf seine Frau stützt. Wie hatte es doch einmal Dr. Königsberg, in seiner geistigen Größe, so treffend ausgedrückt? »Dem alten Mann wird seine Frau zum Krückstock.«
    Nur, solch einem harmonischen Paar hätte kein Quique in die Wiege gelegt werden sollen, kein Dämon. Denn dieser, nicht die Hüftschmerzen, für die es den Rollstuhl gab, hat ihren guten Trigo in die Verzweiflung getrieben, gönnt ihm keinen frohen Tag mehr in der sonst ringsum blühenden Geschäftigkeit seiner Farm. Wer soll diesen Hof dereinst weiterführen? Doch nicht dieser vorsätzliche Tierquäler. Wie sehr es Trigo verdient hätte, sich als alter, erfolgreicher Bauer an seinem Lebensabend im modernen Rollstuhl umzutun, sich mit seinen immer noch kräftigen Armen über den Vorplatz zu stemmen, in die Ställe, in die Scheune, in die Werkstatt, in die Speicher hineinzuschauen, dann die Feldwege entlang, an Weizen, Gerste, Hafer, Kartoffeln, Klee und Schafweiden

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