Scherbenhaufen
mich mitten im disparaten Schuhwerk auf die Knie zu werfen.
»Tu es, bitte!«, beschwöre ich ihn.
Jürg Lüthi kommt mein Anliegen aber höchst ungelegen. »Hanspudi, warum erledigst du das nicht selbst?«
Ausführlich habe ich meinem Assistenten von den Überwachungskameras im Schlossmuseum berichtet und dem Plan, die heiklen Aufnahmen zu ›organisieren‹. Ich habe mir die Auftragserteilung einfacher vorgestellt. Immerhin verkörpere ich Jürg Lüthis Arbeitgeber. Mein Mitarbeiter soll sich in das Kassenhäuschen des Museums schleichen, um dort die Dateien vom Laptop auf einen USB-Stick zu kopieren. Mehr nicht. Eine kurze Sache, eine entscheidende Mission.
»Keinesfalls kann ich den Job persönlich übernehmen«, erkläre ich Jürg Lüthi. »Ich bin im Schloss inzwischen bekannt wie ein bunter Hund. »Welche Notlüge sollte ich vorbringen, falls mich eine Kassiererin, eine Aufsichtsperson, die Assistentin oder gar die Direktorin auf frischer Tat ertappen?«
»Verstehe«, pflichtet Jürg Lüthi halbherzig bei. »Verrate mir bloß, was ich in so einem Notfall ins Feld führen könnte.«
»Nichts«, beschwichtige ich ihn. »Du wirst in keine vergleichbare Situation hineingeraten. Verlass’ dich auf mich.«
»Genau das fällt mir schwer«, ätzt mein Assistent. Wie soll ich unerkannt in die Hütte einsteigen, wenn die Kassenfrau unverrückbar auf ihrem Sessel thront?«
»Ich werde eine gehbehinderte Person mit dem Rollstuhl auf den Schlossberg schieben. Dann bitte ich Martha Rechberger, uns den ebenerdigen Notausgang zu öffnen. Sie wird für ein paar Minuten die Alarmanlage außer Betrieb setzen und den Posten verlassen.«
Der designierte Einbrecher wägt vorsichtig ab »Ich soll also für die Detektei Feller Hausfriedensbruch begehen und die Entwendung riskieren?«
»Quasi«, bestätige ich leicht verlegen.
»Danke für das Vertrauen, Hanspudi. Eine letzte Frage: Wie und wo kommst du zum gehbehinderten Komplizen?«
»Das dürfte das kleinste Problem darstellen«, beschwichtige ich ihn. »Ich fahre direkt in das Übergangsheim Alpenruh und verspreche einer betagten Person einen begleiteten Ausflug.«
Jürg Lüthi grinst. »Könnte man dir das nicht als Entführung ankreiden?«
»Quatsch. Ich bin mit der Heimleiterin persönlich bekannt.«
»Hm«, tönt er und schiebt die Unterlippe nach vorn.
Ich dränge auf eine Entscheidung: »Bist du dabei?«
»Okay«, antwortet Jürg Lüthi.
Sein zögerliches ›OOOkaaay‹, mit verdächtig weichem K in der Mitte, lässt Zweifel offen. Darum insistiere ich: »Ja oder nein?«
»Ja«, bekräftigt er und fragt wie ein amerikanischer Serienheld: »Wann soll die Party steigen?«
»Übermorgen. Für Morgen habe ich bereits andere Pläne.« Vielsagend füge ich an: »Mit Ellen.«
Will das Jürg Lüthi überhaupt wissen?
Da raschelt es an seiner Wohnungstür und Marie-Josette kehrt heim. Sie trägt ein todschickes, eng geschnittenes Etuikleid mit gewagtem Dekolleté. Sie wirkt wie die jünger Schwester von Hillary Clinton und stellt eine weiße Einkaufstüte der Buchhandlung Krebser auf den Garderobeschrank.
»Schön dich zu sehen!«, begrüßt sie mich herzlich und verteilt ihre drei obligaten Wangenküsschen. »Seid Ihr euch einig geworden?«
Marie-Josette kann eigentlich gar nicht wissen, was wir soeben verhandelt haben. Ich komme Jürg Lüthi daher zuvor und lenke mit der neugierigen Erkundigung nach ihren Einkäufen ab. »Hast du dir ein Buch gekauft?«
»Ach so, ja«, bestätigt Lüthis Schatz und holt die Einkaufstüte von der Ablage herunter. »Ein algerischer Autor. Er könnte dich auch ansprechen, Hanspeter«, vermutet Marie-Josette. Sie zieht einen Roman von Yasmina Khadra aus der Tüte: Die Sirenen von Bagdad.
Ausgerechnet in diesem Augenblick nähert sich draußen auf der Gwattstrasse ein Rettungswagen mit schrillem Martinshorn. Jürg Lüthis Sirene nutzt die Gelegenheit, um mit verführerischem Hüftschwung in die Küche zu entschwinden.
15
Es ist soweit. Die prächtige ›Blümlisalp‹, das einzig verbliebene Dampfschiff auf dem Thunersee, eröffnet anfangs April die Saison.
Der nostalgische Zweideck-Salon-Raddampfer aus der Belle-Epoque ist gut besetzt. Nach zwei durchdringenden Hornstößen legt der imposante Kahn pünktlich ab. In majestätischer Gelassenheit gleitet er durch den Schiffskanal Richtung See. Die meisten Passagiere haben sich ihre Sitzplätze bereits gesichert. An Bord macht sich entspannte Vorfreude breit. Die Rundfahrt
Weitere Kostenlose Bücher