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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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aufzutun drohte, wie einen schlechten Traum und schlug Sekunden später die Augen wieder auf. Der Raum war noch immer da, und Janet sah sie noch immer besorgt an, während Gabriel Anstalten machte, sie in die Arme zu nehmen, und dann doch stumm auf der Stelle verharrte. Ihre Mutter saß noch immer zusammengesunken im Sessel und weinte und trauerte um etwas, das es nie gegeben hatte. Und dann wusste sie, was zu tun war. Sie ging durch das Zimmer, kniete vor dem Sessel nieder und nahm ihre Mutter in die Arme.
    Charlotte zog Anne an ihre Brust, fühlte, wie sie schluchzte und zwischendrin nach Luft schnappte, fühlte, wie ihre Schultern bebten und zuckten. »Ist gut, Mum. Ist ja alles gut«, redete sie beruhigend auf sie ein und strich ihr über das graumelierte braune Haar, merkte, wie brüchig es sich anfühlte. »Es ist vorbei.« Dann: »Er ist tot.«
    Sie spürte, wie sich die Handflächen der Mutter gegen ihren Rücken pressten, wie Annes Finger sich in ihr Kleid krallten. Ihre Mutter drückte sich an sie, und aus dieser Geste sprach zugleich Erleichterung und Liebe. Sie fühlte es selbst und hielt die Mutter in dieser Umarmung fest. Sie weinte nicht. Und inmitten dieser Szene ertappte sie sich dabei, dass sie zurückdachte, zurück an den komischen Esel aus Stroh, den der Vater ihr einst geschenkt hatte, an seine schwarzen Glasaugen, die sie starr in nächtlicher Dunkelheit angesehen hatten. Sie vergoss keine Träne.

Nachwort
    D er Duft nach warmer Erde und Lavendel hing in der Luft. Es war Spätnachmittag und das gelb gesprenkelte Licht sollte allmählich in das sanfte Violett der Abenddämmerung übergehen. Die veränderten Farben breiteten sich über den Himmel aus, hinterließen eine rosa Lackmusspur. Später würde sich ein fahler Mond durch die Kulisse drängen, bis seine Umrisse allmählich schärfer wurden und er deutlich sichtbar, als strahlende Scheibe vor dunklem Grund über ihnen stand.
    Der Rasen war nach einem langen, trockenen Sommer fleckig und ausgedörrt. Das Teeröl am Holz des Gartenzauns blätterte ab und hing in Fetzen von den Pfählen wie eine abgestreifte Reptilienhaut. Die Pflanzen waren gerade gegossen worden, und Wassertropfen glitzerten auf den Blättern eines wuchernden Rhododendron.
    Im rückwärtigen Teil des Gartens saß ein kleines Mädchen zufrieden zwischen Geranientöpfen auf dem Rasen, seine stämmigen Beinchen ragten unter dem Kleid hervor, die Füße nackt. Es trug einen blassrosa, mit Gänseblümchen bestickten Stoffhut, unter dem blondes, dicht gelocktes Haar hervorquoll. Es pflückte hingebungsvoll Grashalme und Blätter mit seinen kleinen Händen, war vollkommen in diese Aufgabe versunken. Gelegentlich, wenn es einen besonders langen Halm gefunden hatte, lachte es glucksend und legte ihn sorgfältig zur Aufbewahrung in seinen Schoß.
    Am Tisch saß Anne vor einem Glas gekühlten Weißwein, sah dem Kind zu, beobachtete jede seiner Bewegungen und belächelte den stillen Eifer, mit dem das Mädchen das Gras einsammelte. Das Kind hatte alles um sich herum vergessen, war eingetaucht in seine eigene kleine Welt, fasziniert von den kleinsten Dingen.
    Anne nahm ihre Sonnenbrille ab. Sie hatte nicht gemerkt, dass es zu dämmern begann, und ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Das kleine Mädchen stand auf unsicheren Beinen auf, verstreute Gras bei jeder Bewegung. Anne sah es unverwandt an. Das Kind fing ihren Blick auf, lächelte, so dass Anne gerade den Schimmer von zwei unteren Schneidezähnchen erkennen konnte, klein und vollkommen wie die einer Puppe. Das Mädchen kam schwankend auf sie zu, war noch unsicher auf seinen Füßen, kämpfte, um die Balance zu halten, die Hände vor Anstrengung zu kleinen Fäusten geballt.
    Anne stellte ihr Glas Wein ab und neigte sich vorwärts, die Hände aufmunternd ausgestreckt. »Gracie! Komm in meine Arme!«
    Gracie hielt einen Moment inne, erstaunt von der Stimme, dann grinste sie und versuchte schneller zu laufen, stampfte geräuschvoll mit ihren kleinen Füßen über den Rasen, die rosafarbene Zunge vor Konzentration zwischen den Lippen. »Komm zu mir, Liebes«, sagte Anne und schwenkte die Kleine hoch in ihre Arme, als sie den Stuhl erreicht hatte.
    Gracie machte es sich in Großmutters Schoß gemütlich, wandte den Kopf, so dass er an Annes Brust ruhte. Sie begann an ihrem Daumen zu lutschen, und Anne merkte, dass ihr Handrücken grünfleckig vom Rasen war. Anne nahm dem Kind

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