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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Frauen nur für junge Dummchen in billigen Schuhen übrighatten.
    »Gabe!«, ertönte ein schriller Schrei vom anderen Ende des Raumes herüber. »Hier sind wir!«
    Sie sahen in die Richtung. Es war Florence, eine gequält lächelnde Frau Ende dreißig mit gepudertem Gesicht und einer tiefen Falte zwischen den rasierten Augenbrauen. Sie war, wie sie Charlotte unermüdlich unter die Nase zu reiben pflegte, eine von Gabriels ältesten und engsten Freundinnen. Sie hatten sich während ihres gemeinsamen Praktikums in einer der größten PR-Agenturen Londons Anfang der 1990er-Jahre kennengelernt und sogar kurze Zeit eine Wohnung geteilt. Auf diese Zeit spielten beide häufig augenzwinkernd und mit wehmütigem Kopfschütteln an. Und meist ging es dabei um Dinge, die Charlotte langweilig und nicht besonders lustig fand.
    Charlotte hatte einmal einen ganzen Abend mit Florence und Gabriel verbracht, in dessen Verlauf der bloße Anblick eines Aschenbechers die Erinnerung an eine lange zurückliegende Episode ausgelöst hatte, als Gabriel unfreiwillig einen Vorhang in Brand gesetzt hatte. Die beiden fielen von einem hysterischen Lachanfall in den nächsten, obwohl die Geschichte nur mäßig komisch war. Charlotte hatte unsicher und gequält mitgelacht. Florence versuchte ihr natürlich auf diese Weise die Botschaft zukommen zu lassen: Das, meine Liebe, ist etwas, das nur ich und Gabriel teilen. Du bist letztlich keine Konkurrenz für mich.
    Charlotte war überzeugt, dass Florence insgeheim in Gabriel verliebt war. Eine Ansicht, die er, jedes Mal, wenn sie diese äußerte, als absurd abtat. »Und wenn schon«, sagte er darauf nur. »Wer will denn mit Florence ins Bett? Genauso gut könnte ich einen Mann flachlegen.«
    Jetzt sah Charlotte Florence an. Sie war eine Frau, die zeitlebens daran arbeitete, sich selbst zu erfinden. Eine Frau, die ihre extreme Schlankheit kultivierte. Allerdings nicht unbedingt, weil sie sich so gefiel, sondern vielmehr weil sie dadurch den Neid ihrer Geschlechtsgenossinnen erregte. Sie war schmal und flach wie ein Brett, kleidete sich meistens in Schwarz und hatte eine Vorliebe für Accessoires mit einem künstlerischen Touch: Gürtel aus karibischen Flaschenkürbissen oder Halsschmuck aus bunten peruanischen Webarbeiten. Dazu trug sie praktische flache Ballerinas mit Samtkuppe. An diesem Abend hatte sie ihr Haar aus der hohen Stirn streng zurückgekämmt und mit reichlich Haarspray in Form gebracht, so dass ihre blonden Strähnen brüchig wie Glas wirkten. An ihrem sehnigen Hals traten zwei dicke Venen hervor.
    »Hi, Darling«, sagte sie und küsste Gabriel auf den Mund. »Na, was hältst du von den Fotos? Ziemlich harter Tobak, was?«
    »Wir sind gerade erst gekommen«, erwiderte Gabriel und ließ seinen Blick kurz über die Bilder an den Wänden schweifen. »Nicht schlecht, finde ich. Das da gefällt mir.« Gabriel deutete auf die pathetisch wirkende Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Reihe rostiger Wellblechbuden.
    »Hm. Reichlich morbider Chic.« Florence, die sich während dieses kurzen Dialogs bei Gabriel eingehakt hatte, schenkte Charlotte ein strahlendes Lächeln, so als habe sie diese gerade erst entdeckt. »Hallo, Charlotte. Wie geht’s?«
    »Danke, gut. Leider war mein Auftritt hier etwas verunglückt. Ich hätte fast eine Bauchlandung gemacht«, entgegnete sie grinsend. Im nächsten Moment hätte sie sich dafür am liebsten geohrfeigt. Wieder einmal hatte sie das Eis zu brechen versucht, indem sie sich lächerlich machte.
    »War nicht zu übersehen.« Damit wandte Florence sich von ihr ab und Gabriel zu. »Wie geht’s, wie steht’s? Gibt’s was Neues an der Scheidungsfront?«
    Gabriel wirkte brüskiert. »Nun ja … es geht ums Eingemachte.«
    »Ich habe neulich mit Maya gesprochen. Sie meinte, es würde noch eine Weile dauern.«
    »Wusste gar nicht, dass ihr noch Kontakt habt«, bemerkte Gabriel, und Charlotte sah, dass der Nerv an seinem Kinn zuckte. Er war ganz offenbar angespannt.
    »Hör mal, ich lasse Maya doch nicht fallen wie eine heiße Kartoffel, nur weil du das getan hast. Sie braucht jede Hilfe, die sie kriegen kann, Gabe. Schließlich ist sie noch solo.« Florences Blick wanderte demonstrativ zu Charlotte. »Im Gegensatz zu dir.«
    Der gesamte Abend verlief nach demselben uninspirativen, unerfreulichen Muster. Die Fotografien waren langweilig. Das Publikum ätzend. Sämtliche Freunde Gabriels, der Kurator der Ausstellung ausgenommen, der im betrunkenen Zustand unkompliziert und

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