Scherbenherz - Roman
Sie schmiegte sich an seine Brust, und er legte die Arme um sie, küsste sie aufs Haar, wie zur Belohnung.
»Du wirst mir eine gute Frau sein«, sagte er, und sie dachte flüchtig, wie seltsam abwertend das klang, so als gäbe es eine strikte Trennung zwischen ihrer Weiblichkeit und ihrer Eigenschaft als Ehefrau.
»Das hoffe ich doch«, erwiderte sie mit leisem Lachen. Dann hatte er den Ring aus der Innentasche seines Jacketts gezogen. In diesem Moment kehrte ihr spontanes, von Herzen kommendes Lächeln zurück. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Sie glaubte, nie im Leben glücklicher gewesen zu sein als hier am Fluss mit Charles, einem begehrten, gut aussehenden Mann, der klug und selbstbewusst war, mit einer Statur, durch die sie sich beschützt fühlte, und der jetzt, zweifel- und fraglos, ihr Mann war.
Auf dem Weg zurück zum Newnham College redete sich Anne ein, wie wunderbar doch alles sei. Sie hatte sich immer gewünscht zu heiraten, und jetzt war es so weit. Sie hatte die Chance, Ehefrau zu werden, eine verheiratete Frau, die ihrem Mann ein Zuhause schuf, in einem Doppelbett schlief, erwachsen und geläutert war, Erfahrung erwarb, einen Hausstand gründete und Kinder bekam, zusammen mit ihrem Mann alt wurde, ihren Garten pflegte, wie es ihre Mutter getan hatte, Rosen mit der Rosenschere schnitt, bevor sie mit geröteten Wangen ins Haus zurückkehrte, um den Braten für das Sonntagsessen in den Ofen zu schieben, von dem ihr Vater stets gesagt hatte, es sei der beste Sonntagsbraten, den er je gegessen habe. Das, so sagte sie sich, war alles, was sie sich je gewünscht hatte.
Warum also regte sich in ihr leise Verunsicherung? War es nur, weil Dinge, die man so lange herbeigesehnt hatte, eine Art Depression auslösten, wenn sie endlich eintrafen? Anne neigte zu dieser Ansicht. Wahrscheinlich stellten sich diese Gefühle automatisch nach einer Entscheidung ein, die das Leben so grundlegend veränderte. Es war nur natürlich, dass die Vernunft die Oberhand gewann, die Freude zügelte, die sie sonst überwältigt hätte. Vielleicht musste das reine Glück immer durch gesunden Menschenverstand diszipliniert werden, um es erträglich zu machen. Beruhigt durch ihre Überlegungen schlug Anne ihre Bedenken in den Wind. Feiern war angesagt.
Sie sah Charles von der Seite her an, sein Profil vor dem dunklen Blau des Himmels in der Dämmerung.
»Woran denkst du?«, fragte sie leichthin.
»Hm?« Er drehte sich zu ihr um und sah sie abwesend an.
»Was geht dir so durch den Kopf?«
»Ich habe mich gerade gefragt, wie schnell wir es durchziehen können.«
»Was denn?«
»Die Hochzeit.«
»Oh«, entfuhr es Anne. Im ersten Moment war sie perplex. Ihr zweiter Gedanke war, dass seine Eile verständlich war. Warum sollten sie unnötig lange warten? Sie wussten beide, was sie wollten und wie verliebt sie waren. »Du kannst es wohl nicht erwarten, mit mir verheiratet zu sein, was?« Sie lächelte kokett.
Er grinste und zerzauste ihr Haar. »So ist es. Ich brauche meine Anne an meiner Seite. Ich will nicht zu lange warten und erleben, dass dich ein anderer Windhund mir wegschnappt.«
Sie lachte. »Sei nicht albern!«
»Du hast ja keine Ahnung, wie leicht sich Männer in dich verlieben«, seufzte er. »Du bist ja so naiv.«
»Und du zum Glück kein Windhund.«
Die leichte Verunsicherung, die sie erfasst hatte, schien sich zu verflüchtigen. Er zog sie an sich und küsste sie, schlang seine Arme so fest um sie, dass sich seine Muskeln und Rippen in ihre Brüste pressten. Dann lies er sie los.
»Aber jetzt kriegt dich kein anderer mehr.« Damit kitzelte er sie mit dem Finger unter dem Kinn. »Nun gehörst du mir!«
»Ja, Charles. Ganz und gar.«
In den folgenden Wochen, während Anne die Trauung in der Kirche vorbereitete, Kleid, Blumenschmuck und den Hochzeitsempfang vorbereitete, bemerkten die Menschen in ihrer Umgebung häufig, wie ›strahlend‹ sie aussehe. Mit jeder Person, der sie von der Hochzeit erzählte, gewann sie ein zusätzliches Maß an Sicherheit, das Richtige zu tun. Sie stellte bei ihren unverheirateten Freundinnen so etwas wie Eifersucht fest, wenn sie ihr gratulierten, und sie genoss das Gefühl der Überlegenheit, das ihr dies vermittelte. Das Gefühl, in einer Liga zu spielen, die sie noch nicht erreicht hatten. Manchmal starrte sie so lange auf ihren Verlobungsring, dass er vor ihren Augen verschwamm, der Stein durchscheinend und dunkel wurde, das glitzernde Juwel einen Abdruck auf ihren
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