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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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zu ihren offeneren Freundinnen sagte, keine Frau für Frauenfreundschaften.
    Eines Abends in der Mensa hatte Anne ihr Tablett genommen und es zu dem Platz neben Frieda getragen. Das leichte Besteck aus rostfreiem Stahl klapperte leicht. Frieda sah auf.
    »Anne«, sagte sie und klappte umgehend das Visier herunter, die Miene ausdruckslos, nur den Blick ironisch auf Anne gerichtet. »Was für ein unerwartetes Vergnügen!«
    »Darf ich mich zu dir setzen?«, begann Anne plötzlich nervös und ärgerte sich sogleich, sich nicht besser im Griff zu haben. Immerhin, so schalt sie sich, war sie schon bei-nahe eine verheiratete Frau. Die Unsicherheiten der Jugend sollten damit überwunden sein. Sie war selbstbewusst, kannte ihren Platz in der Gesellschaft. Und doch … Friedas entschlossenes Wesen, die sportliche Eleganz ihres Auftretens, jede Bewegung schwungvoll und sicher, wie der Pinselstrich eines japanischen Kalligrafen, das alles weckte bei Anne Minderwertigkeitsgefühle. Frieda sprach wenig, wirkte durch ihre Orakelhaftigkeit. Die anderen Studentinnen hielten sie daher für abweisend, beinahe hochnäsig, beobachteten sie wachsam und schlossen sie meist aus ihrer Gemeinschaft aus, weil sie ihnen ein Rätsel war. Während der drei Erstsemester im Newnham College hatte Anne festgestellt, dass versteckte Lästereien gegen Frieda eine Art stillschweigender Solidarität unter den anderen hatten entstehen lassen. Offen allerdings machte sich keine über Frieda lustig. Dafür wurde gestikuliert, mit den Augen gerollt, wurden Augenbrauen hochgezogen, spöttische Bemerkungen gemacht. »Das hätte Frieda sagen können« war ein Synonym dafür, dass sich die Angesprochene zu wichtig nahm. »Genau das würde Frieda tragen«, galt als Warnung, dass ein Kleid definitiv zu gewagt war.
    Ein Teil der Beweggründe waren pure Eifersucht und Neid. Frieda war unangestrengt kultiviert und hatte Stil. Während sich die anderen Mädchen in hautenge Schlaghosen zwängten und falsche Wimpern anklebten, mied Frieda bewusst die Modediktate der Zeit. Sie trug mit Vorliebe Herrenjacketts über altmodischen Seidenkleidern. Sie las lieber Simone de Beauvoir als Jacqueline Susann. Und während sich Frieda schwertat, Freundinnen zu finden, lagen ihr die unterschiedlichsten Männer zu Füßen. Und das waren nicht irgendwelche Männer – Frieda pickte sich die beliebtesten, intelligentesten, attraktivsten, kreativsten, sportlichsten und ungewöhnlichsten Männer in Cambridge heraus. Meistens handelte es sich um Doktoranden oder Tutoren, die um einiges älter waren als sie. Einmal fiel ihre Wahl, zur staunenden Heiterkeit der Drittsemester von Newnham, auf einen jamaikanischen Immigranten, der als Tellerwäscher in der Küche des Trinity College arbeitete.
    Frieda veranstaltete Nachmittagspartys in ihrem Zimmer, bei denen es frisches Gebäck aus der Konditorei Fitzbillies gab und die fast den Ruf eines literarischen Salons hatten. Die Männer erschienen in Gruppen zu dritt oder zu zweit, Zigaretten im Mundwinkel, zusammengefaltete Tageszeitungen in den Jacketttaschen und in feuchtes Papier gewickelte Blumensträuße in den Händen. Sie pochten laut an Friedas Tür. Frieda öffnete. Kaffeearoma aus dampfenden Kannen und ein betäubend würziger Duft, vielleicht nach Zimt oder Lorbeer, drangen in den Flur, bevor die Besucher in die geräuschvolle Kulisse angeregter Diskussionen eintauchten, begleitet von Friedas Lachen. Die Mädchen, die auf Friedas Flur wohnten, taten dann desinteressiert, rotteten sich jedoch häufig zusammen, spähten durch Türschlitze, versuchten zu verstehen, worüber in der geheimnisvollen Atmosphäre hinter Friedas Tür gesprochen wurde, die ihnen als eine unbekannte, sehr erwachsene, verbotene und unvorstellbar gebildete Welt erschien.
    »Natürlich darfst du«, antwortete Frieda, schob ihr Tablett einen Millimeter zur Seite, um Platz für Anne zu machen.
    »Danke.« Anne lächelte, hatte sich etwas beruhigt. »Ich habe den geräucherten Schinken genommen – und du?«
    »Etwas Undefinierbares. Ist jedenfalls von dem Fraß von gestern nicht zu unterscheiden. Ich rätsle noch immer, was es sein könnte.« Frieda gestikulierte dabei mit den Händen. Anne fiel auf, dass sie ihre Fingernägel grellrot lackiert hatte. Ihre Handgelenke waren schmal und feingliedrig.
    »Hab dich lange nicht gesehen.« Das war eine Feststellung, die Frieda nicht weiter ausführte.
    »Stimmt. Ich bin ziemlich beschäftigt gewesen. Eigentlich habe ich so

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