Scherbenherz - Roman
Augenwinkeln. Sie benutzte nur sparsam dunkelbraune Wimperntusche, da Schwarz gewöhnlich wirkte, und gab einen Hauch blassrosa Rouge auf die Wangen. Dann lehnte sie sich zurück und betrachtete kritisch ihr Spiegelbild. In diesem Moment hörte sie den Schlüssel im Schloss der Haustür. Anne warf einen Blick auf ihre Armbanduhr: sieben Uhr fünfundzwanzig. Sie wurden zwischen halb acht und acht bei den Trenemans erwartet, was bedeutete, dass sie es je nach Charles’ Laune gerade noch schaffen konnten.
Anne atmete tief durch und lächelte, um fröhlicher zu klingen, als sie sich fühlte.
»Hallo, Darling«, rief sie gedämpft.
»Hallo.« Der Widerhall seiner Schritte und leises Gemurmel waren zu hören. Er legte offenbar seinen Mantel ab und stellte die Aktentasche auf den Fußboden. Dann registrierte sie, dass er in die Küche ging und den Kühlschrank öffnete. Was macht er, wunderte sie sich. Er wusste, dass sie eingeladen waren. Er will doch wohl jetzt nicht noch etwas essen! Aber dann wurde mit Geschirr geklappert, und sie ahnte, dass er sich eine der Schüsseln mit Geflügelsalat gegriffen hatte. Dann Stille. Das konnte nur bedeuten, dass er ihn aß. Kurz darauf Geräusche, die ihr sagten, dass er sich seinen üblichen Gin Tonic mixte. Anne stand auf und ging hinunter.
Sie betrat die Küche. Charles hatte ihr den Rücken zugewandt. Er stand vor der Spüle und blickte aus dem Fenster in den Garten. Es war Herbst. Die Blätter der hohen Eiche wirbelten unaufhörlich durch die Luft und bildete einen dicken knirschenden braunroten Laubteppich auf dem Rasen, der an ein verschüttetes Glas Bier erinnerte. Er drehte sich nicht um, obwohl er ihre Schritte gehört haben musste. Sie versuchte sein Verhalten zu deuten, zu erraten, wie gut oder schlecht gelaunt er war. Vergeblich.
»Hallo, Liebling«, wiederholte sie und kam sich dabei ziemlich dumm vor. Er wandte sich um.
»Wann sollen wir bei den Trenemans sein?«, fragte er und trank einen Schluck Gin Tonic. Die Eiswürfel klirrten geräuschvoll im Glas. Immerhin hat er es nicht vergessen, dachte Anne erleichtert.
»Zwischen halb acht und acht, hat Cynthia gesagt. Du bist voll in der Zeit«, fügte sie heiter hinzu.
Er knackte einen Eiswürfel geräuschvoll zwischen den Zähnen und sah auf seine Armbanduhr, eine unnötig auffällige Rolex, die er sich bei Antritt seines Jobs gekauft hatte.
»Richtig. Dann geh ich mich jetzt rasieren.« Ihre Blicke trafen sich. Seine Augen lächelten nicht. »Willst du so gehen?«
Anne sah an sich herab. Sie trug einen gemusterten smaragdgrünen Baumwollhänger mit hoch, direkt unter dem Busen sitzender Taille. Vom Halsausschnitt baumelten zwei Bänder mit jeweils drei kleinen silbernden Kugeln am Ende, die bei jeder ihrer Bewegungen leise klirrten. Sie hatte das Kleid erst vor Kurzem bei einem Einkaufsbummel am Sloane Square gekauft. Sie liebte das leuchtende Grün des Stoffs und hatte in diesem Kleid das Gefühl, eine andere Frau zu sein. Es war ein exotisches Kleid, ein Kleid, das Optimismus, Lachen und Jugend ausstrahlte. Es war die Sorte Kleid, die sie früher häufig getragen hatte. Es fühlte sich einfach gut auf ihrer Haut an.
Jetzt allerdings, da sie das Kleid in einem anderen Licht als dem in der Umkleidekabine betrachtete, sah sie es plötzlich mit Charles’ Augen. Und mit einem Mal kamen ihr Zweifel. Möglicherweise war es für den Abend bei den Trenemans unpassend, zu verspielt und zu extravagant. Ihre Nachbarn würden sie vermutlich schief ansehen, könnten den Eindruck gewinnen, sie hielte sich für etwas Besseres, wolle die anderen mit diesem extravaganten Outfit als Spießer hinstellen. Anne biss sich auf die Unterlippe. Sie fühlte sich elend.
»Eigentlich schon«, erwiderte sie einigermaßen verunsichert. »Was meinst du?« Sie drehte sich aufreizend im Kreis wie ein Filmstar aus den 1950er-Jahren.
»Es ist sehr …« Charles hielt kurz inne. »Gewagt.« Er kippte den Rest seines Drinks hinunter, stellte das Glas neben die Spüle und ging wortlos an ihr vorbei. Einige Minuten später hörte sie, wie er das Waschbecken im Badezimmer voll Wasser laufen ließ.
Sie war am Boden zerstört, so als habe jemand den Stöpsel gezogen und die Luft aus ihr herausgelassen, war unentschlossen, ob sie sich umziehen sollte oder nicht. Wenn sie sich umzog, musste sie sich erneut Charles’ Kritik aussetzen, und das machte sie nervös. Außerdem zeigte sie damit, keine eigenständige Entscheidung treffen zu können, was
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