Scherbenherz - Roman
daher auf die Art entspannen, wie er es brauchte. Sein Job in der City war immerhin aufreibend genug und gestattete es ihnen, in einem zauberhaften Klinkerhaus mit vier Schlafzimmern in unmittelbarer Nähe von Kew Gardens zu wohnen.
Das Haus stammte aus viktorianischer Zeit und lag breit und großzügig von der Straße zurückgesetzt hinter einer kleinen, von Topfpflanzen gesäumten Terrasse. Die Haustür bestand aus bunten Glassteinen und führte in einen gefliesten Flur. Zur Linken lag ein Wohnzimmer mit grünem Teppichboden und großem Erker, in dem ein riesiger offener Kamin und wuchtige Polstersofas standen. In der Küche war ein cremefarbener Aga-Herd, und eine Glastür führte auf eine Rasenfläche hinaus.
Anne war mit dem Haus eigentlich nie richtig warm geworden. Das Haus war so weitläufig, dass man sich wie ein Kind fühlte, das vermeintliche Erwachsenenspiele spielte. Aber Charles hatte darauf bestanden. Sie bräuchten Platz, wenn die Kinder kämen, lautete sein Argument.
»Wir möchten schließlich eine Familie gründen«, erklärte er zuversichtlich, als der Makler sie herumführte.
Anne lächelte nachsichtig. Sie schrieb das leichte Frösteln, das sie befiel, während sie durch die Zimmerfluchten ging, der Tatsache zu, dass im Haus noch die Möbel fremder Menschen standen. Sie war überzeugt, das würde sich zum Positiven ändern, sobald sie es selbst eingerichtet hatten.
Aber nach dem Einzug musste Anne feststellen, dass das Sofa, ein hübscher Zweisitzer mit einem Blumenmusterbezug, das sie bei John Lewis erstanden hatte, in den Weiten des Wohnzimmers regelrecht verloren wirkte. Dem bequemen Sessel, den ihre Eltern ihnen geschenkt hatten – ein Erbstück einer längst verstorbenen Tante mit einer Vorliebe für abgewetztes Leder –, war ein ähnliches Schicksal beschieden: Er wirkte wie ein Puppenhausmöbel im Haus eines Riesen. Letztendlich blieb das Wohnzimmer so, wie sie es vorgefunden hatten: grün und repräsentativ mit dem Muff eines vergangenen Jahrhunderts, der museale Abklatsch verblassten Großbürgertums. Und so blieb das Wohnzimmer weitgehend ungenutzt und lediglich größeren Einladungen vorbehalten. Das hatte zur Folge, dass der muffige, leicht abgestandene Geruch nach Möbelpolitur und feuchten Teppichen nie verschwand. Das Chintzsofa landete schließlich in der Küche. Den Ledersessel stellte Anne in das kleinste Schlafzimmer, das Charles als Arbeitszimmer diente.
Sie lebten mittlerweile acht Monate in diesem Haus und hatten bisher nur zwei Einladungen für ihre Nachbarn gegeben, was, wie Anne wusste, als eine insgesamt enttäuschende Leistung angesehen wurde. Die meisten Paare der Nachbarschaft brachten es alle zwei Monate auf eine Dinnerparty und mehrere spontane Einladungen zwischendrin. Bei Letzteren ertönten Oldies aus dem Plattenspieler, und es wurden Cocktailspießchen mit Käse und Ananas serviert. Von den beiden Partytypen zog Anne Letztere vor. Sie dauerten nicht sehr lange, und man konnte dort auch nur ein kurzes Gastspiel geben, bevor man sich unter dem Vorwand, eine andere Verpflichtung zu haben, verabschiedete. Bei Dinnerpartys dagegen harrte Charles meistens bis in die frühen Morgenstunden aus, betrank sich systematisch und wurde von Stunde zu Stunde redseliger, so dass sie meistens länger bleiben musste, als es ihr lieb sein konnte, während sie wiederholt versuchte, Charles einen bedeutungsvollen Blick zuzuwerfen, der von den anderen Gästen nicht als unhöflich interpretiert werden würde. Diese Abende waren weit weniger spaßig, als sie gemeint waren.
Für heute hatten sie den Trenemans zugesagt, und es gab kein Entrinnen. Annes Anspannung wurde immer schlimmer. Ein Blick auf die Küchenuhr genügte. Kurz nach sieben Uhr abends, und Charles war noch nicht aus dem Büro nach Hause gekommen. Dabei hatte er versprochen, pünktlich zu sein. Sie begann zum wiederholten Mal, die Arbeitsflächen in der Küche mit einem Geschirrhandtuch zu polieren, um sich abzulenken. Anschließend begutachtete sie mit kritischen Blicken die Fenster über der Spüle und entdeckte in einer Ecke die verräterischen Silberfäden eines Spinnennetzes. Sie griff sich einen Staubwedel aus dem Schrank unter der Treppe und schwenkte diesen heftig hin und her, bis das Netz zerriss und in einem Knäuel auf das Fensterbrett sank. Dann verschloss sie mehrere Gefäße mit Geflügelsalat, den sie früher am Tag zubereitet hatte, mit Klarsichtfolie und stellte sie in den Kühlschrank. Die
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