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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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kleine Feier«, eröffnete sie Anne. »Es gibt Wein und Käse. Schrecklich schick! Hat man jetzt so.« Sie lachte glockenhell. Anne versuchte ebenfalls zu lachen, doch es gefror ihr auf den Lippen.
    Sie hatte Cynthia zugesagt, da Geselligkeit in dieser Nachbarschaft sozusagen zum guten Ton gehörte. Die Nachbarn, allesamt junge Paare mit kleinen Kindern oder in Erwartung eines Babys, waren stolz auf den freundschaftlichen Zusammenhalt der Nachbarschaft. Sie trafen sich regelmäßig zu Bridgeabenden und Geburtstagen, zu Dinnerpartys und Einweihungsfeiern, zu Grillfesten an Wochenenden und »Halloween-Partys « , bei denen man in komischer Verkleidung erschien. Stets dieselben Gesichter, immer lächelnd, immer für einen lockeren Plausch zu haben, Gläser mit lauwarmem Wein in der Hand und ständig dieselben Witze auf den Lippen, als wolle man sich gegenseitig überzeugen, noch immer glücklich, kultiviert und weltoffen zu sein, sich noch immer betrinken, noch immer flirten und den gedankenlosen Exzessen der Jugend frönen zu können, noch immer zur Szene zu gehören, während sie in Wirklichkeit wie Fliegen im Honig festsaßen, ganz allmählich in den zähen Sumpf vorstädtischer Spießigkeit abrutschten.
    Cynthia war eine kleine, vollbusige Frau, die Twinsets in unterschiedlichen Pastelltönen bevorzugte, stets einreihige Perlenketten trug und ihr Haar dezent tönte. Sie redete gern in Ausrufungszeichen und lachte durch die Zähne. Als Charles und Anne kurz nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise in diese Straße in Kew gezogen waren, war Cynthia Treneman als Erste mit einer in blumig duftendes Seidenpapier gewickelten Flasche »Blue Nun « bei ihnen aufgekreuzt.
    »Zum Eingewöhnen«, hatte Cynthia mit übertrieben hintergründigem Lächeln gesagt. »Willkommen in der Carlton Avenue!«
    Charles dankte ihr so überschwänglich, dass Anne bei diesem offensichtlichen falschen Spiel unwillkürlich innerlich aufstöhnte, doch Cynthia war seinem Charme sofort erlegen. Es dauerte nicht lange, und sie begann zu kichern und ihm einen spielerischen Klaps auf den Arm zu geben, dass ihre Armbänder klirrten. »Ach, hören Sie auf!«, kreischte Cynthia. »Sie sind mir ja ein Schlimmer! Oh Anne, wie halten Sie es nur mit ihm aus?«
    Nicht besonders gut, dachte Anne humorlos. In den Wochen und Monaten nach der Hochzeit hatte sich Charles immer mehr von ihr entfernt, wurde mit jedem Tag gleichgültiger. Er verhielt sich dabei nicht unbedingt unhöflich, schien lediglich wenig Lust au f ihre Gesellschaft zu haben. An Wochenenden verschwand er gelegentlich einen Tag lang, ohne jede Erklärung, und kehrte in einem Zustand zurück, den sie nur als »aufgekratzt « bezeichnen konnte. Er setzte sich dann an den Tisch, verzehrte große Portionen ihres Essens, spülte es mit reichlich Wein hinunter und weigerte sich zu sprechen, bevor er fertig war, als müsse er seine Batterien frisch aufladen. Einmal hatte sie nach seiner Rückkehr eine kleine grüne Klette an der Rückseite seines Jacketts entdeckt und sich gefragt, ob er eine Wanderung auf dem Land unternommen habe. Ein anderes Mal war er die Fassade hochgeklettert und durch das Dachbodenfenster ins Haus eingestiegen. Anne hatte entsetzt aufgeschrien, als er plötzlich in der Küche stand, denn sie hatte ihn für einen Einbrecher gehalten.
    »Hast du deine Schlüssel vergessen?«, wollte sie mit zitternden Händen wissen.
    »Nein«, widersprach er. »Ich hatte nur einfach Lust zu zeigen, dass es auch so geht.«
    Zeitweise konnte er jedoch auch außerordentlich liebevoll sein, überraschte sie mit einem unverhofften Kuss zwischen die Schulterblätter, wenn sie das Geschirr abwusch, oder schenkte ihr eine kleine blaue Schmuckschachtel mit einem Silberarmband, in das ihrer beider Initialen eingraviert waren. Er verschwand ohne Vorwarnung, und auch seine demonstrativ netten Gesten kamen so unvermittelt, dass sich Anne hinterher stets fragte, ob sie sich das Ganze womöglich nur eingebildet hatte. Seine Unberechenbarkeit entzog sich ihrem Verständnis.
    Anne hatte gelernt, bezüglich seiner mysteriösen Ausflüge keine Fragen zu stellen – aus Angst, Charles könne sich ihr noch weiter entfremden oder wütend werden. Stattdessen redete sie sich ein, dass in einer Ehe jeder seinen Freiraum brauche. Das Beste, das sie tun konnte, war, Charles seine Freiheiten zu gewähren und einfach da zu sein, wenn er zurückkehrte. Davon abgesehen, so sagte sie sich, war er der Ernährer und musste sich

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