Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
schüttelte die Erinnerungen ab, jetzt war sie in Unterammergau. Wieder war es Rita, die wie ein Zerberus an der Türschwelle des Wohnhauses stand, als hätte sie schon auf die beiden gewartet. Drinnen war die Familie vollständig versammelt – bis auf den alten Xaver, der oben war und schlief, wie es hieß. Die übrigen Schmids saßen um den Küchentisch herum, die Männer hatten Bierkrüge vor sich stehen und die Frauen Mineralwasser. Hier war die Welt noch in Ordnung.
Irmi und Kathi bekamen ebenfalls Wasser angeboten. Die Atmosphäre war angespannt und erinnerte ein bisschen an die in einem Seminar, bei dem sich jeder vorstellen sollte und seine Wichtigkeit unter Beweis stellen wollte. »Meine Hobbys sind … Besondere Fähigkeiten habe ich meiner Tante in Wanne-Eickel zu verdanken … Ich mache dieses Seminar, weil …«
Nur Ritas eisiger Blick vermittelte die Botschaft: »Ich hab dieses Seminar gar nicht gebucht, sondern bin reingelost worden.« Sie war eine Frau, deren Mundwinkel wahrscheinlich selbst dann herabhingen, wenn sie zu lachen versuchte.
Die hagere Rita und den streitbaren Franz kannten sie ja schon. Markus sah seinem Bruder überhaupt nicht ähnlich. In dieser Familie war die Gunst offenbar sehr ungleich verteilt worden. Markus war blond, hatte einen Kurzhaarschnitt, und seine weichenden Geheimratsecken sah man kaum. Er war der Typ ewiger Lausbub, und das Blond würde wohl noch eine ganze Weile über das herannahende Grau siegen. Irgendwann würde er aussehen wie sein Vater, dessen Augen und Charisma er geerbt hatte. Irmi hoffte nur für Renate, dass er kein solcher Herzensbrecher war wie Xaver Schmid.
Renate, deren Locken ebenso echt waren wie das Karottenrot ihrer Haare, sah man ihr tatsächliches Lebensalter an: Sie wirkte wie eine schlanke Frau um die fünfzig, die viel gearbeitet hatte, und gerade das machte sie attraktiv. Lediglich eine kleine Narbe unter dem einen Auge störte ein wenig.
Vroni hatte sich umgezogen und trug jetzt einen Pulli, der auch die nächsthöhere Größe vertragen hätte. Ihr Bruder Thomas hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr. Allerdings wirkte er ziemlich ungehobelt, gab sich gelangweilt und schaute Irmi bei der Begrüßung kaum an. Seine Cousine Anna Maria hingegen war eine richtige Schönheit. Sie hatte die brünetten Haare hochgesteckt und trug ein Kostüm, an dessen Revers noch das Namensschildchen befestigt war. Vermutlich war sie direkt aus dem Hotel hergekommen. Mit ihrem natürlichen Lächeln machte sie auf Irmi den Eindruck, als wisse sie gar nicht, wie hübsch sie eigentlich war. Oder sie wusste es, und es war ihr egal.
Alles in allem waren die Schmids eine schrecklich normale Familie, deren Normalität nur jäh von zwei Brandleichen unterbrochen worden war.
Nun saßen sie alle miteinander da und blickten Irmi und Kathi erwartungsvoll an.
»Dass es sich bei der einen Toten um Ionella handelt, wissen Sie bereits. Aber wir wissen noch immer nicht, was sie in der Tenne gewollt hat. Haben Sie eine Idee?«, fragte Irmi.
»Sie haben die Antwort doch scho«, brummte Franz. »Die hat die Katz retten wollen.«
»So bled muss ma sein«, knurrte Thomas.
Kaum hatte er das ausgesprochen, brüllte Vroni: »Ach, bled war sie? Nachgestiegen bist du ihr. Da war sie dir nicht zu bled. Du bist doch bloß sauer, dass sie dich nicht rang’lassen hat.«
»Halt’s Maul, und red ned über Sachen, wo d’ nix von verstehst. Du fette Sau findst doch nia oan!«
»Jetzt lass doch die Vroni!«, rief Anna Maria. »Sie hat doch recht. Jede von den Frauen hast du angebaggert. Und wir wissen alle, dass mit der Aurika was gegangen ist. Drum musste die dann auch so schnell weg. Du Arschloch!«
»Jetzt gebts a Ruh!«, donnerte Franz dazwischen.
Während die Fetzen flogen, war Irmi ganz langsam aufgestanden. »So, so«, sagte sie mit eisiger Stimme und schaute in die Runde. »Da machen wir doch jetzt mal Folgendes: Sie gehen alle mal raus, und dann kommt einer nach dem anderen hier rein und beantwortet meine Fragen. So ein Geschrei brauch ich heute Abend nicht mehr. Und wenn das nicht klappen sollte, kommt jeder einzeln zu uns auf die Inspektion morgen früh.«
»So a Kaschperltheater«, maulte Thomas.
Irmi konterte: »Und das Oberkaschperle bleibt gleich als Erstes da.«
Thomas blieb trotzig, gab immerhin zu, dass die Aurika ihm mal »untergekommen« sei, aber bloß weil sie ihn abgefüllt habe mit irgend so einem rumänischen Fusel. Die sei halt auf ihn gestanden, die
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