Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
behauptet, den beiden Mädchen je tausend Euro ausgehändigt zu haben, als Schweigegeld. Die beiden hätten das Geld angenommen, und Runa habe daraufhin unter seinen Augen die E -Mails auf ihrem Netbook gelöscht. Anschließend sei er gegangen. Dass er wegen »ein paar so Weibsen« so viel Geld eingebüßt hatte, das habe ihn schon sehr gefuchst. Was Thomas dann noch gemacht hatte, wusste er angeblich nicht.
Thomas Schmid bestätigte, dass »diese kleine norwegische Hure« die Mails gelöscht habe. Dann habe er den Onkel beiseitegenommen und gesagt, er sei doch ein Volldepp, weil er nun erpressbar sei. Diese kleinen Miststücke würden das sicher ausnutzen. Der Markus sei allerdings total verstockt gewesen und habe gemeint, das sei schon in Ordnung mit dem Geld. Dann sei er wütend hinausgestürmt und habe noch gerufen, Thomas solle in Zukunft »seinen Scheiß alleine machen«. Dann sei er selbst auch gegangen, sagte Thomas. Den Stadel bei der Kappel wollte er im Übrigen schließen, überhaupt wolle er mit Markus nicht mehr zusammenarbeiten.
Zwei Männer und eine schöne Geschichte, die sich lediglich in der Pointe unterschied. Einmal war der pastorale Markus der gute Mitläufer gewesen, einmal hatte der hoch aggressive Thomas seinem Onkelchen nur helfen wollen. In beiden Versionen war Thomas am Ende mit den Mädchen allein gewesen.
Von hier an gab es nach Irmis Einschätzung zwei Varianten: Entweder hatte Thomas den Onkel davonlaufen sehen und die ganze Sache in seine Hände genommen. Er hatte einfach mal aufgeräumt mit den Weibern – nachhaltig und endgültig. Mädels entsorgt, Katze hinterher, der Kas war bissn. Oder aber – und das war die zweite Variante – Markus war doch zurückgekommen und hatte eines der Mädchen ins Silo geworfen. Er hätte ja nur warten müssen, bis die andere zu Hilfe kam und starb. Dann die Katze hinterher, um das Ganze plausibler aussehen zu lassen …
Aber wie war es zu dem Brand gekommen? Keiner von ihnen habe gezündelt, beteuerten sie. Und Irmi war fast versucht, zumindest diesen Teil der Geschichte zu glauben. Aber wer hatte dann so ein loderndes Scheunenfest aufgeführt?
Die beiden Männer saßen nun in U -Haft, und Irmi hoffte, einer von ihnen werde endlich reden. Doch sie wiederholten immer wieder, dass sie doch niemals jemanden ermorden würden.
Die restliche Familie war natürlich bass erstaunt angesichts der kriminellen Machenschaften, keiner hatte etwas gehört, gesehen, geahnt. Vroni war heulend zusammengebrochen und hatte gesagt, dass ihr Bruder zwar manchmal ein bisschen aggressiv rüberkomme, aber doch niemals ein Mörder sei. Irmi war überrascht, dass sie ihn so löwenhaft verteidigte. Aber am End war wohl auch hier Blut dicker als Wasser. »Er war das nicht. Er war das nicht«, hatte sie immer wieder gestammelt.
Anna Maria war völlig erschüttert gewesen, wozu ihr Vater fähig war. Aber sie beteuerte seine Unschuld mit so einer Inbrunst und Verzweiflung, dass Irmi sich ernsthafte Sorgen um das Mädchen machte.
Die Frauen der Familie waren alle völlig aus der Bahn geworfen – aus den Bahnen ihres geregelten Lebens. Tricksen, stehlen, betrügen, verdünnen – ja. Mit Vergewaltigung drohen, mit Bierkrügen um sich schmeißen – auch. Aber Mord – niemals! Irmi fand es beängstigend, wie viele moralische Grauzonen die Schmids zuließen. Zugleich schlossen sie natürlich vehement aus, dass ein Familienmitglied in der Aggressionsskala eine Stufe weitergegangen sein sollte.
Aus ihrer langen Berufserfahrung wusste Irmi nur zu gut: Wer so viel kriminelle Energie hatte, dem war letztlich auch Mord zuzutrauen. Die Schmids waren eine schrecklich normale Familie. Und eine so dehnbare Auffassung von Recht und Moral hatte so mancher hier im Werdenfels. Kavaliersdelikte reichten weit, nur Mord war unverzeihlich.
In solchen Momenten sehnte sich Irmi nach Norwegen zurück, wo die Luft klar war und das Licht wegdämmerte. Dabei wusste sie sehr wohl, dass sie die Inseln im Nordmeer idealisierte. Wäre sie dort tiefer in die Strukturen eingedrungen, hätte sie vermutlich feststellen müssen, dass die Norweger keinen Deut besser waren. Menschen waren so, überall: feige und rückgratlos – man konnte sich eben vieles schönreden unter dem Deckmantel der Toleranz.
Irmi versuchte, ihre negativen Gedanken zu unterdrücken, auch wenn es ihr schwerfiel. Außerdem merkte sie, wie die Sache mit Jens an ihr nagte – mehr, als sie sich eigentlich eingestehen
Weitere Kostenlose Bücher