Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
kommen, Frau Mangold …«
»Irmi reicht.«
»Irmi, gut. Es geht um diese Sache in Unterammergau. Es ist, nun ja, ein wenig heikel. Drum komm ich auch so privat und nicht in Ihr Büro.«
Irmi schwieg. Die Erfahrung lehrte sie, dass Schweigen oftmals Gold war und Zungen lockerte. Es war offensichtlich, dass der alte Mann mit sich zu ringen hatte.
»Ich breche das Beichtgeheimnis. Gott hat mir leider kein Zeichen gegeben, ob das, was ich hier tue, richtig ist.«
»Haben Sie ihn denn gefragt?«
Er lächelte. Und auf einmal leuchtete er von innen heraus. Es gab solche Menschen. Leider nur wenige.
»Ja, das hab ich. Und gerade ich müsste wissen, dass Gottes Zeichen manchmal sehr schwer zu erkennen sind. Aber sei es drum.«
Er atmete tief durch und begann zu erzählen. Davon, dass eines schönen Tages vor etwa sieben Jahren Xaver Schmid zu ihm gekommen war. Zwar gehörte Unterammergau nicht zu seinem Sprengel, aber er hatte eben den Ruf gehabt, ein renitenter, unkonventioneller Pfarrer zu sein. Schmid hatte gefragt, ob er denn auch bei ihm beichten könne. Was ihm natürlich erlaubt gewesen war, denn Gott sei nicht an Gemeindegrenzen gebunden, meinte der Pfarrer. Xaver Schmid hatte von einer Zeit erzählt, die nicht die beste in seinem Leben gewesen war. Oder vielleicht doch. Von einer Zeit des Ausnahmezustands, von einer Zeit falscher Parolen und richtiger Gefühle. Er hatte im Krieg ein Mädchen gefunden. Obwohl er doch zur Besatzungsmacht gehört hatte. Ein Mädchen, das er geliebt hatte. Das ihn verzaubert hatte. Das schwanger geworden war. Im Winter 1944 / 45 sahen sich die Deutschen zum Rückzug gezwungen. Schmid musste gehen, das Mädchen blieb zurück. Und mit ihr das ungeborene Kind. Auf die Kriegswirren folgten die Nachkriegswirren. Anfangs hatte er noch gehofft, seine große Liebe zu sich holen zu können. Aber wie das Leben so spielt, kamen Hunger und Existenzangst der Nachkriegszeit dazwischen, danach der Wiederaufbau. Im täglichen Kampf werden bunte Bilder blasser und blasser. Und irgendwann hatte er sich nicht mehr getraut. Das bunte Bild war längst schwarz-weiß geworden, aber er trug es noch im Herzen. Und wie es so ist im Leben, verpasste er viele richtige Zeitpunkte, und er verpasste jene, die schon nicht mehr richtig gewesen wären, aber noch möglich. Und zu irgendeinem Zeitpunkt war es unmöglich und zu spät.
Irmi hatte gebannt zugehört, weil der Pfarrer einen großartigen Erzählstil hatte, weil er mitfühlte und doch kein falsches Pathos bemühte.
»Irmi, sehen Sie, ich habe von der Tragödie gehört. Es hat etwas gedauert, bis die ganze Geschichte die hohe Schwelle vom Ammertal hier herunter geschafft hatte. Natürlich war es ein Leichtes zu erfragen, um wen es ging. Ich habe auch in der Zeitung gelesen, dass es da eine böse Betrugsgeschichte mit Baumaschinen gab. Und ich weiß, dass Markus und Thomas Schmid in Untersuchungshaft sitzen. Natürlich habe ich auch erfahren, dass beim Schmid eine junge Rumänin und eine junge Norwegerin gestorben sind.«
»Und Sie sehen da einen Zusammenhang zum Senior?«
»Xaver Schmid war während des Zweiten Weltkriegs in Norwegen stationiert. Dort hatte er eine norwegische Freundin, die er am Ende der Besatzungszeit im Stich lassen musste. Er hat sein Kind nie kennengelernt, aber was, wenn er auch eine Enkelin hatte?«
Irmi lief es plötzlich eiskalt den Rücken hinunter. Eine junge Norwegerin kommt ausgerechnet auf dem Hof jenes Mannes ums Leben, dessen Dasein so tragisch mit ihrem Heimatland verknüpft ist. Wirklich nur Zufall?
»Wo in Norwegen war er denn?«, fragte Irmi, weil sie ihr Gedankenwirrwarr mit einer konkreten Frage kanalisieren wollte.
»In der Finnmark. Er gehörte zu einer U -Boot-Besatzung. Wissen Sie, Irmi, er war wie so viele im Porsangerfjord zum Warten verdammt. Die Soldaten waren oft junge Männer, die endlich einen Einsatz erleben wollten. Viele von ihnen haben sich dort regelrecht gelangweilt und sich voller Tatendrang wegbeworben an die Ostfront. Xaver Schmid hat das nicht getan, weil er dieses Mädchen kennengelernt hatte und in seinem Leben viel wichtigere Dinge passiert sind, als Straßen- und Küstenbefestigungen zu bauen. Er liebte. Und er spielte mit seiner Militärkapelle in Honningsvåg zum 1 . Mai und unterhielt die Bevölkerung. Wissen Sie, Frau Mangold, ach, Irmi, wissen Sie, Krieg ist ja nichts Abstraktes. Der Krieg ist die Summe von Millionen Einzelschicksalen.«
Irmi betrachtete den braun gebrannten
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