Schicksal des Blutes
Lilith.“
Amy wollte sich abschnallen, doch Jonas stoppte sie in ihrem Vorhaben.
„Keine Sorge, lass ihn. Er weiß, was er tut. Sicher hat Nephilim ihn rasch entdeckt. Sie werden auf mentaler Ebene kämpfen. Und Nyl wird sich erst zurückziehen, wenn er weiß, was er wissen will. Du kennst ihn. Er wird nicht locker lassen.“
„So kennen wir ihn, den sturen Esel“, gab Lilith von sich, als redeten sie über einen abgebrochenen Fingernagel.
Amy bemerkte kaum, wie sie die Hände über den Mund legte und sich ins Fleisch biss, damit sie sich zusammenriss. Sie zitterte. Das würde Nyl nicht überstehen. Der Nephilim war viel zu mächtig. Keiner hatte eine Chance gegen einen Halbgott.
Ein Ruck schleuderte Ny’lanes Kopf nach vorn auf die Armaturen. Es krachte und knirschte ekelerregend, dann richtete er den Oberkörper auf und atmete tief durch. Alle redeten durcheinander, aber das schien ihn nicht zu stören. Er schnallte sich ab und stand auf. Leicht schwankend wischte er sich das Blut von Kinn und Hals, das ihm weiterhin aus den Ohren lief, und fuhr sich mit den Fingern über die schwere Platzwunde auf der Stirn. Sein langsamer Blick in die Runde ließ alle verstummen.
„Ich kenne nun unseren Weg in die Katakomben. Wie wir vermutet haben, existierte in Alexandria unter der bedeutendsten Bibliothek des Altertums ein Heiligtum der Wesen. Aus dessen Bestand entwendete Jitu Bavarro am 3. Mai 1311 das Manuskript seines Vaters Yohaness. Beide, Jitu und Yohaness, scheinen den alle 700 Jahre wiederkehrenden Gräueltaten des Engels auf die Schliche gekommen zu sein. Als Nephilim während seiner sieben Tage davon erfuhr, ließ er die Bibliothek und das darunterliegende Höhlensystem von der Erde verschlucken. Inklusive meinem Vater, als er ins Heiligtum zurückkehrte, um weitere Informationen zu sammeln.“
Amy schluchzte auf. Wie sollte Jitu die Jahrhunderte überlebt haben? „Der Engel vernichtete das Wissen der Wesen, um sich zu schützen.“
„So ist es.“ Nyl lehnte sich an die Wand. „Cira, würdest du bitte weiterfliegen?“
„Klar.“ Cira setzte sich auf den Pilotensitz. „Geht es dir nicht gut?“
Amy lief es eiskalt den Rücken hinunter, als Nyl mit einem Bein vor ihr niederkniete, als würde er ihr einen Antrag machen wollen. Wenn er das doch nur wollte … Aber es war etwas Anderes, Schlimmes, Entsetzliches. Sie spürte es mit jeder Faser.
Das Flugzeug wurde gewaltsam durchgerüttelt, doch Cira winkte ab. „Alles okay. Normale Turbulenzen. Hast du Nephilim mit irgendwas beschäftigt? Es ist so ruhig.“
Nyl ließ seine Reißzähne aufblitzen. „Ich habe versucht, ein katastrophales Durcheinander in seinem Schädel zu hinterlassen, bevor ich mich zurückzog. Hoffentlich hält es ihn hin, bis wir in einer Stunde landen.“
„Chaos, deine Spezialität? Vermute ich mal so ins Blaue.“ Lilith grinste spitzbübisch.
Nyl stieß einen harten Lacher aus. „Das sagt die Richtige. Es war das erste Mal.“
Lilith schien das als Kompliment aufzufassen und freute sich. „Durch und durch Dämonin“, sagte sie stolz. „Aber es ist trotzdem total unlogisch, dass du noch lebst.“
Ny’lane wandte sich Amy zu, nahm ihre Hände und massierte sie sanft. „In vielen Dingen bist du viel weiser als ich, Amy. Es gibt die Kehrseite, die du prophezeit hast.“
Amy blickte ihm ins Gesicht, sah ihre besorgte und fragende Miene in seinen getönten Brillengläsern. Mit Mühe atmete sie weiter, ihr Brustkorb zog sich bange zu.
„Ich möchte es dir erklären, wenn ich darf.“
Amy nickte. Sie fand keine Worte. Seine Art verursachte ihr Angst, die zarten und gleichmäßigen Berührungen seiner Finger … Er klang, als gedachte er, zu beichten.
„Ich erzählte dir bisher nichts über meine Zeit nach Elisabeths Tod 1923 bis 1945, wo ich auf Jonas traf. Aber es ist mir wichtig, dich wissen zu lassen, weshalb ich jetzt bin, was ich bin.“ Ny’lane holte tief Luft, obwohl er keinen Atem benötigte. „In dem Zeitraum lebte ich, wie ich dachte, als verstoßener Tribor leben zu müssen. Durch meinen Reichtum tat ich, was ich wollte. Ich eröffnete Blutklubs überall auf der Welt, weil ich weiß, was Sucht bedeutet und ich mich in ihr suhlte. Aufgrund meiner angeborenen Begabung, mit Reden zu begeistern und ihnen durch meine magischen Silberaugen Wirkung zu verleihen, geriet ich immer tiefer in meine Machtposition. Ich predigte, Amy. Gegen die Verbindung mit Weißen, gegen Mischlinge, gegen Nicht-Wesen,
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