Schicksal des Blutes
will gerade sagen, wie leid mir das alles tut, da reißt es mich aus ihm fort. Er schleudert mich aus seinem Körper, und sowie ich den Kontakt verliere, bin ich tot.
Zumindest gehen mir premierenmäßig die Lichter aus.
~ ~
Obwohl der Engel nicht nochmals angegriffen hatte, war die Elektronik größtenteils ausgefallen. Cira flog blind.
Sie hatten ein Triebwerk verloren und Risse in der Kabinenwand, durch die der Wind pfiff wie in einem Spukschloss. Amy saß mit Sauerstoffmaske neben Nyl im hinteren Bereich. Er hielt ihre Hand. Regen lief über die Scheiben, als würden sie durch einen Wasserfall fliegen. Die Oma hing von Elassarius gestützt bewusstlos in einem Sitz. Lilith war bisher nicht zurückgekehrt.
„Haltet euch fest. Das wird eine katastrophale Landung“, rief Cira.
Sie würden unangemeldet notlanden. Nur durch die mentale Magie des Gargoyles vor dem Radar und der Luftwaffe geschützt. Was blieb ihnen ohne Funkgerät und ohne Flugerlaubnis übrig? Die Zeit rann ihnen wie Wasser durchs Haar. Was hatte Lilith bei Nephilim erreicht? Wann fand der Engel heraus, ob er wieder nur Söhne gezeugt hatte? Mittags, abends? Amys Angst, jeden Moment tot umfallen zu können, wuchs.
Der Learjet krachte auf der Landebahn des Alexandria Airport auf und schlingerte wie ein Schwertransporter auf Glatteis über den Asphalt. Amy krallte sich in die Lehnen. Es knirschte und dröhnte, als wollte das Flugzeug auseinanderbrechen.
„Gegenverkehr“, fauchte Elassarius.
Der Jet zog brutal zur Seite weg, schleuderte alle Insassen gegen die Polster und raste wie ein bockiges Känguru über eine verdorrte Wiese. Sie gerieten in Schräglage. Ny’lane kniete plötzlich zwischen ihren Beinen, hielt und schützte ihren Oberkörper. Es knallte, als wäre eine Bombe explodiert. Ein Flügel riss die Seitenwand auf, die Maschine stieß herum, prallte gegen etwas und blieb mit einem harten Ruck stehen. Der Gurt quetschte sich um ihren Körper wie Nyls Arme. Das Licht erlosch. Amy nahm die Maske ab und japste nach Luft.
Nyls Hände fuhren über ihre Wangen ins Haar und hoben ihren Kopf. „Alles okay?“
Amy nickte, wollte rasch ein Ja hinterherschieben, doch sein lächelnder Mund, der ihre Stirn sanft küsste, verriet, er hatte sie auch so verstanden. Er schnallte sie ab und hob sie auf seine Arme.
„Raus!“, befahl er, trat die Tür nach draußen und sprang hinab auf den schlickigen Boden.
Regen prasselte auf sie nieder. Timothy folgte mit Sam, Elassarius mit dem leblosen Körper der Oma. Jonas und Cira verließen als letzte den Jet. Amy war bereits bis auf die Haut durchnässt, als sie sich umsah. Die Passagiermaschine, mit der sie fast kollidiert wären, startete in den entfernten Morgen.
„Tut mir leid“, sagte Cira. Sie sah sich nach dem riesigen Schrotthaufen um, der ohne Flügel und mit eingequetschter Nase wie ein Fisch auf dem Trockenen wirkte.
„War doch eine prima Landung“, entgegnete Nyl und zwinkerte Cira zu.
Amy schmerzte der Anblick der silbrigen, blinden Augen. Zum Glück war Nyl ein Vampir, der sich auf seine anderen Sinne verlassen konnte.
„Es sind keine drei Meilen bis zur Bibliothek. Los, bevor die Streitkräfte anrücken.“
Sie rannten in vampirischer Geschwindigkeit über eine Autobahn, einen Parkplatz und durch mehrere Siedlungen, so schnell, dass Amy ihren Kopf an Nyls Brust barg, weil ihre Sicht verwischte. Seine Handfläche schob sich im Lauf über ihren Hinterkopf.
„Ist dir schlecht?“
„Nein, ich bin okay.“ Ihr Magen drehte sich zwar, aber das lag gewiss nicht an dem Engelsbaby in ihrem Bauch, der flach war wie eh und je. Wozu brauchte Nephilim Frauen, wenn seine Kinder sowieso nicht im Mutterleib heranwuchsen? In den ihr verbleibenden Stunden würde sie wohl keine Antwort mehr erhalten. Vor allem sollte sie endlich aufhören, darüber nachzudenken.
Sie liefen durch einen Park und erreichten alsbald die riesige, moderne Bibliotheca Alexandrina, die aussah wie eine abgestürzte in den Boden gerammte fliegende Untertasse. In der diesigen Luft hing der Geruch vom nahen Meer, der straffe Wind trug Fahrbahngeräusche durch die Dämmerung zu ihnen. Die winkenden Palmen bildeten schwarze Silhouetten vor dem langsam heller werdenden Himmelszelt. Amy fröstelte. Wenn sie Jitu hier nicht fanden, war alles verloren.
Sie verringerten ihre Geschwindigkeit nur marginal, um den wenigen Menschen auf dem Vorplatz nicht aufzufallen und rauschten durch einen Nebeneingang in die
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