Schicksal des Blutes
auf staubbedecktem Marmor saß. Eine glatte Säule im Rücken und vor ihr führte eine breite Steintreppe hinunter in eine scheinbar große Halle. Das Licht reichte nicht aus, um ein Ende zu erkennen. Dicke, verzierte Steinsäulen stützten die Decke.
Hatten sie tatsächlich die untergegangene Bibliothek von Alexandria gefunden? Oder gar das mysteriöse Heiligtum der Wesen? Ihr Hirn schien voller Reißzwecken zu sein.
Amy zuckte zusammen. Vor Freude kribbelte ihre Haut. Konnte es sein? Warum hörte sie kein Rufen oder Gestein, das nachrutschte? Ihr Kopf schmerzte, ihr Kiefer zitterte. Sie irrte sich nicht, sie spürte Wesen. Amy tastete nach einem losen Stein und schlug ihn kraftlos auf den Boden. Das dumpfe Geräusch hallte durch die Höhle und deutete ihr an, wie unermesslich groß sie war, falls sie nicht bereits wegen Unterversorgung unter Halluzinationen litt. Tränen quollen hervor.
„Bitte“, flehte sie, „hier!“ Sie kippte zur Seite. Staub wirbelte auf, verschlug ihr den Atem. Ihre taube Hand verlor das Handy. Das war’s also. Das Ende.
„Wie kommst du hierher?“
Amy schnappte nach Luft, saugte nur Staub ein, zuckte unter Krämpfen. Eine tiefe, männliche Stimme. Rettung? Todesengel? Ihre Lippen platzten auf, als sie den Mund öffnete, um zu flehen, aber ein brutaler Ruck ließ ihren Kopf wie nicht festgewachsen in den Nacken schlagen, als etwas sie hochriss. Ihre Fäuste ballten sich hilflos, doch sie traf den Angreifer nicht. Der Biss in ihren Hals schmerzte, bis selige Ruhe sie überkam.
~ ~
„Können uns die Sternträgerkräfte helfen?“, krächzte Ny’lane und ließ vor Anstrengung zitternd von dem Geröll im Durchgang ab. Trotz Einsatz aller Kräfte waren sie keinen Inch vorangekommen. Der magische Schutz hinderte sie am Eindringen. Nyl unterdrückte die Verzweiflung, doch sie fraß sich wie ein Geschwür durch seine Mauern, ebenso wie sein durch den Kraftaufwand geschürter Blutdurst.
„Ohne Auftrag vom Rat läuft da nichts. Leider“, grummelte Sam.
„Amy konnte also als Mensch durch die Magie“, sinnierte Cira. „Sie hat keine übersinnlichen Fähigkeiten, sie ist kein Wesen. Als Nephilim das Heiligtum im Erdreich versinken ließ, schützte er es nur gegen Homo animals.“
„Vielleicht ist sie aber auch verschüttet worden.“ Nyls Stimme gehorchte ihm nicht.
„Glaube ich nicht, Nyl.“ Cira legte ihre Hand auf seine Brust. „Keiner wittert sie. Das muss an der Schutzmagie liegen. Doch dein Herz weiß, sie lebt.“
Er schluckte. Spürte er sie wirklich in seinem Inneren? Oder wünschte er es sich nur?
Cira drückte ihm die Schulter. „Wenn es jemand schafft, einen Weg da rauszufinden, dann Amy.“
„Damit hast du recht“, bestätigte Jonas.
„Sie hat kaum Sauerstoff“, jammerte Nyl taub vor Sorge. Seine Fänge schmerzten.
Sam rüttelte ihn grob und lenkte ihn ab. „Spürst du deinen Verwandten noch?“
„Ja, sehr intensiv. Aber ich bekomme keinen mentalen Kontakt.“
„Die Kraft meiner Gabe ist völlig umsonst“, murmelte Timothy. „Wenn Zeemore dir deine Aufgabe vom Ältesten übermittelt hätte, vielleicht wäre alles anders.“
Timothys verzweifelt klingende Stimme riss ihn zurück in die Realität. „Timothy“, sagte er, „ohne dich wären wir alle tot, unter Tonnen von Stein begraben.“
„Wie Elassarius“, meinte Timothy bedrückt. „Ich möchte etwas gutmachen …“
„Es gibt nichts zu bereuen oder auszugleichen, Timothy. Ich stehe in deiner Schuld.“
„Nun“, erwiderte Timothy, „das sehe ich anders. Du hast mich aufgefangen.“ Er zeigte auf Nyls langsam verheilenden Arm. „Ich kann dir mein Blut nicht anbieten, du weißt, weshalb. Aber bevor du durchdrehst und über Sam herfällst, solltest du von Jonas trinken. Deine Gier dringt dir schon aus jeder Pore, mein Freund. Außerdem wirst du deine Kraft noch benötigen, um Amy zu retten, wenn sie noch lebt.“
Nyl roch das reinste Vampirblut sofort und schreckte zurück, als Jonas mit geöffneter Halsschlagader an ihn herantrat. Er zitterte vor purer Blutlust, brachte nicht den Willen auf, sich gegen Jonas’ großzügiges Angebot zu wehren oder das männliche Blut abzulehnen. Er schämte sich, als er dem Reinblut zum zweiten Mal in seinem Leben ausgehungert in den Hals biss. Doch er brauchte Kraft für Amy.
~ ~
Amy kam langsam zu sich. Ihre Lungen schmerzten, doch sie konnte atmen, die Luft war sauber. Entweder hatte sich der Staub gelegt oder sie befand
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