Schicksal in seiner Hand
aufgewacht!«
Erschrocken fuhr er hoch.
Yvonne stand vor ihm. In dem Sommerkleid aus leicht getönter Shantungseide wirkte sie entzückender denn je. Er mußte zweimal hinschauen, bis er begriffen hatte, daß ihn kein Spuk narrte.
»Wie im Traum!« murmelte er hingerissen.
»Kehre zurück in die Wirklichkeit!« erwiderte Yvonne und wies auf den liebevoll gedeckten Frühstückstisch. »Es hat etwas länger gedauert. Wenn man sich sonst nicht viel um die Küche kümmert, findet man im Notfall garantiert kein Stück.«
»Du hast aber allerhand gefunden«, konstatierte er beim Anblick der reichen Auswahl an leckeren Dingen. »Es ist herrlich, von dir verwöhnt zu werden, Yvonne.«
Die Zeit verging wie im Flug, viel zu schnell für die beiden Menschen, die sich noch soviel zu sagen hatten und doch – wie auf eine geheime Absprache hin – meist nur von nebensächlichen Dingen sprachen.
Eine Uhr schlug acht.
»Yvonne, jetzt muß ich mich aber beeilen!«
Sie standen voreinander und sahen sich selbstvergessen an. Bruckner hielt ihre beiden Hände so fest, daß es sie schmerzte. Mühsam konnte sich Yvonne ein kleines trauriges Lächeln abringen.
»Das Märchen einer Sommernacht«, flüsterte sie. »Aber … eigentlich ist es ja schon Herbst.« Sie schluckte ein paarmal. Dann schlug sie die Augen voll zu ihm auf. »Jetzt werde ich auch noch sentimental, Thomas. So was Dummes! Komm, du mußt gehen.«
»Hab Dank, Yvonne, für alles! Es war einmalig, so … so … ach, ich kann keine großen Worte machen. Du weißt schon, wie ich es meine, nicht?«
Sie durchquerten die Halle.
So nebenbei sagte Bruckner noch: »Es ist mein erster Tag heute … bei meinem neuen Chef. Da darf ich nicht zu spät kommen, wo er mich sowieso nicht leiden kann. Ich habe es dir erzählt. Erinnerst du dich? Ist eben doch schon ziemlich alt, der Herr. Na ja, alte Menschen leben in einer anderen Welt.«
Yvonne war bleich geworden. Ihr schwindelte. Haltsuchend lehnte sie sich an die Wand. ›Alte Menschen leben in einer anderen Welt …‹ Das hätte nicht gesagt werden dürfen. Was wußte Thomas denn schon von …
»Yvonne, was ist dir?«
Thomas Bruckner trat auf sie zu und faßte sie an den Schultern. Er kannte jetzt nur noch die Sorge um die geliebte Frau. Vielleicht war sie ernstlich krank, und er wußte es nicht. Wie sonst sollte er sich diese plötzliche Schwäche erklären?
Aber Yvonne Bergmann hatte sich bereits wieder in der Gewalt.
»Ich glaube, mir fehlt nichts anderes als Schlaf, Thomas«, versicherte sie lächelnd. »Ich bin nämlich sonst keine solche Nachteule, mußt du wissen. Mach dir bitte keine Sorgen!«
Scherzhaft drohend hob er den Zeigefinger. »Ich habe Röntgenaugen und würde den Schwindel bald merken.«
»Wirklich?« kam es spöttisch zurück.
»Bestimmt! – Also, mach mir keinen Kummer und lege dich jetzt brav zu Bett. Ich melde mich, sobald ich kann.«
»Thomas, bitte, laß uns …«
Er zog sie stürmisch an sich und versuchte, sie erneut zu küssen. Doch Yvonne machte sich geschickt frei.
»Nicht böse sein!« Ihre grünschillernden Augen hatten einen seltsam flehenden Ausdruck. »Das … am See … war unser Freundschaftskuß. Ich … ich muß mich erst an alles gewöhnen. Es kam so plötzlich, verstehst du? Laß mir etwas Zeit, Thomas. Es ist so wunderschön, unser … unser Märchen. Zerstöre es nicht … bitte!«
Völlig konsterniert starrte Bruckner diese rätselhafte Frau an. Er spürte instinktiv: Yvonne spielte ihm kein Theater vor. Es mußte irgend etwas geben in ihrem Leben … ein Geheimnis, das er noch nicht kannte. Vielleicht …
»Wie du wünschst, Yvonne. Ich danke dir jedenfalls von ganzem Herzen.«
Er küßte ihre Hand und wandte sich schnell ab.
»Thomas«, flüsterte sie – aber er konnte es nicht mehr hören. Die Tür hatte sich schon geschlossen …
Professor Robert Bergmann klingelte. Es dauerte lange, bis eine Schwester öffnete.
»Ich komme zur Durchleuchtung.«
»Sind Sie angemeldet?«
»Nein.«
»Dann kommen Sie bitte morgen wieder.« Sie sah ostentativ auf die Uhr. »Die Sprechstunde ist bereits vorbei. Der Herr Doktor kann niemand mehr annehmen.«
Bergmann war grenzenlos enttäuscht. Morgen – das bedeutete einen weiteren Tag quälender Ungewißheit. Nein, das hielt er nicht mehr aus.
Mit der Gebärde eines Bettlers, der ein Almosen erbittet, hielt er der Schwester sein eigenes Schreiben entgegen.
»Professor Bergmann schickt mich!«
Sie sah
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