Schicksal in seiner Hand
wandte er sich langsam um und folgte der Schwester mit müden, schleppenden Schritten zurück in die Bergmann-Klinik.
»Darf ich Sie bitten …« Die Schwester ergriff die Hand des Professors, dessen Augen an das dunkelrote Licht im Durchleuchtungszimmer nicht gewöhnt waren. »Vorsicht, Stufe!« Sie dirigierte ihn hinter den Schirm.
»Nehmen Sie bitte den Becher in die Hand und trinken Sie, wenn ich Sie dazu auffordere«, erklang die Stimme Dr. Schneiders aus dem Dunkel. »Sie stellen das Gefäß am besten auf Ihre linke Schulter! Da stört es nicht. Aber halten Sie es fest!«
Robert Bergmann fühlte tastende Finger und dann den kalten Henkel des Bechers. Jetzt drückte der Röntgenologe die Durchleuchtungsplatte gegen seine Brust.
»Bitte, tief einatmen – ausatmen! Noch mal … gut! Lungen und Herz sind prächtig. Wenn Ihr Magen auch so aussieht, kann ich Ihnen gratulieren. Trinken Sie mal einen großen Schluck … so!«
Der Schirm wurde herabgezogen. Er folgte dem Breischluck in den Magen.
»Ösophagus-Passage o.B …«
Der Professor hörte das Klicken des Fußhebels, mit dem der Kollege das Tonbandgerät in Betrieb setzte. Er atmete auf. Dann würde er auch seinen Befund in der Annahme diktieren, dieser Theo Wagner verstehe die lateinischen Fachausdrücke nicht.
»Wo haben Sie eigentlich Ihr Bein verloren?« fragte Dr. Schneider und drückte mit dem behandschuhten Finger auf Bergmanns Magen herum. Es schmerzte, aber der Professor biß tapfer die Lippen zusammen.
»Im Weltkrieg, eine verdammte Sepsis!« erwiderte er. Da fiel ihm plötzlich ein, daß er ja hier als Laie galt und sich nicht durch medizinische Kenntnisse verraten durfte. »Da kam eine dicke Blutvergiftung hinzu«, verbesserte er schnell.
»Hohe Amputation?« fragte die Stimme aus dem Dunkel.
»Ja, eine Handbreit unter dem Hüftgelenk. Verdammt unangenehm!«
Plötzlich schrie Robert Bergmann auf. Es war, als habe der Röntgenologe ihm ein glühendes Eisen in den Leib gestoßen.
»Entschuldigen Sie!« Ihm stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Tränen liefen über seine Wangen. Gottlob konnte ihn hier niemand sehen!
»Schuß!«
Wie verändert Dr. Schneiders Stimme auf einmal klang! Oder bildete er sich das nur ein?
Schuß und wieder Schuß und noch einmal Schuß. Jedesmal knallte die Kassette gegen den Rahmen, jedesmal summte der Apparat.
Wenn er doch nur bald reden würde, dachte der Professor ungeduldig. Er muß doch jetzt den Befund diktieren.
»Neue Kassette!«
Die Schwester wechselte die Kassetten aus.
»Entschuldigen Sie, Herr Wagner, es dauert etwas länger. Ich muß es gründlich machen. Wenn ich dem guten Bruckner schlechte Aufnahmen schicke, ist der mir ewig böse.«
»Schuß!«
Die Kassette knallte – knallte wieder und wieder.
»So«, sagte der Röntgenologe schließlich. »Das war die letzte Durchleuchtung heute!«
Licht flammte auf. Dr. Schneider warf die langen, bleigepolsterten Stulpenhandschuhe auf den Tisch.
Die Schwester eilte herbei, um dem Patienten behilflich zu sein.
»Und was ist es?«
Lange kam keine Antwort.
Der Röntgenologe nahm die schwere Schürze vom Leib und hing sie sorgfältig über einen Haken an der Wand. Langsam ging er zur Tür. Dann drehte er sich noch einmal um.
»Ein Magengeschwür, genau wie es der Professor vermutet hatte!«
Er wollte hinausgehen, aber Bergmann hinkte ihm nach. Er stolperte dabei über ein Kabel, das am Boden lag.
»Bitte, ich soll den Befund gleich mitbringen!« Kaum vermochte er seine Erregung zu verbergen. »Ich fahre nachmittags schon wieder zurück.«
Fragend sah Dr. Schneider die Schwester an.
»In dem Brief stand, daß der Patient die Bilder und den Befund gleich mitbringen soll«, bestätigte sie.
Der Röntgenologe schaute seufzend auf die Uhr, dann zuckte er mit den Schultern. »Für einen anderen würde ich es ja nicht tun, aber für den Bruckner …«
Dr. Schneider wandte sich an seine Assistentin: »Sind Sie also so gut und entwickeln Sie die Aufnahmen gleich. Und stellen Sie sie in den Trockenschrank.«
Er ging zur Tür, blieb aber noch einmal stehen. »Es wird allerdings eine Stunde dauern. Wollen Sie inzwischen eine Kleinigkeit essen gehen, Herr Wagner?«
»Wenn Sie es mir gestatten, möchte ich hier warten«, kam es leise zurück.
»Ach so!« Der Kollege sah ihn mitleidig an. »Ich verstehe, bei dem Befund.«
Unschlüssig stand Dr. Schneider in der Tür, überlegte und kam dann noch einmal zurück. »Wenn ich Ihnen als
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