Schicksal in seiner Hand
Röntgenologe einen Rat geben darf: Lassen Sie sich bald von einem guten Chirurgen operieren. Ich weiß nicht, was der alte Bergmann noch leistet. Er galt ja früher einmal als Koryphäe auf diesem Gebiet. Aber Sie dürfen eins nicht vergessen: Auch bei dem besten Chirurgen lassen mit zunehmendem Alter die geistigen und körperlichen Fähigkeiten nach.«
Die Tür zur Dunkelkammer öffnete sich. Die Schwester schaute herein.
»Die Bilder sind entwickelt.«
»Ich komme sofort!« Schneider faßte den Professor am Arm und blickte ihm ernst in die Augen. »Wenn ich einen solchen Befund hätte … ich würde mich bedenkenlos von Dr. Bruckner operieren lassen. Der Mann hat eine fabelhafte Technik. Er hat ein Jahr bei Tanner in London gearbeitet. Das ist wohl einer der besten Magenchirurgen überhaupt. Später habe ich Dr. Bruckner in München operieren sehen. Ich kann Ihnen nur sagen: grandios!«
Bevor Bergmann etwas erwidern konnte, war der Röntgenologe schon hinter der schmalen Tür mit der Aufschrift Dunkelkammer verschwunden.
Der Oberarzt hatte sich in den einzigen Sessel des Dienstzimmers gesetzt. Schwester Euphrosine stand neben ihm. Einige Schritte von den beiden entfernt harrte Dr. Bruckner der Dinge, die da kommen sollten.
Umständlich zündete sich Theo Wagner eine Zigarette an. Er blies einen Rauchring in die Luft und sah zu, wie er langsam zur Decke emporstieg, sich verformte und verging. Über seine Zigarettenspitze hinweg, die er in Augenhöhe hielt, fixierte er den neuen Kollegen.
»Schwester Euphrosine«, begann er schließlich mit leiser, mahnender Stimme, »hat sich über Sie beschwert. Und Sie … Sie haben eben erst bei uns angefangen.«
Er erwartete, daß sich das ›Protektionskind‹ verteidigen würde, aber er wurde enttäuscht.
Thomas Bruckner rührte sich nicht und blickte gelangweilt geradeaus. Es kostete ihn eine ungeheure Überwindung, diesen beiden jetzt nicht ordentlich die Meinung zu sagen. Doch was hätte das in seiner Situation genützt? Nichts, absolut nichts! Er mußte aushalten und sein Können unter Beweis stellen.
Der Oberarzt ärgerte sich, als er kein Echo fand. Er redete sich in Wut:
»Glauben Sie ja nicht, Sie könnten sich hier Unverschämtheiten herausnehmen«, schrie er mit sich überschlagender Stimme, »nur weil Sie zufällig einmal eine richtige Diagnose gestellt haben. Bekanntlich findet auch eine blinde Henne hin und wieder ein Korn. Das ist ja die Höhe, Ihr Benehmen, Sie … Sie.«
»Jawohl, die Höhe!« pflichtete Schwester Euphrosine mit heftigem Nicken bei.
Überrascht blickte Dr. Bruckner auf das zornige Gespann. Was war die Höhe? Er hatte eben völlig abgeschaltet. Wie aus weiter Ferne kehrten seine Gedanken zurück … zurück von einem träumenden Mund, von faszinierenden Augen … Lächeln huschte über seine Züge.
»Genug!« donnerte Dr. Wagner jetzt außer sich vor Zorn. »Da lacht mich dieser unerzogene Mensch einfach aus, während ich ihm ins Gewissen rede. Machen Sie, was Sie wollen! Aber das eine sage ich Ihnen: Bei uns werden Sie nicht alt. Und wenn Sie mit dem ganzen Kuratorium verwandt sein sollten.«
»Jawohl, mit dem ganzen!« zischte die Schwester empört und rückte ihre Haube zurecht, die zur Seite gerutscht war. »Und mit so was muß ich zusammenarbeiten! Diese Zumutung … nein … das halte ich nicht aus. Ich lasse mich versetzen, Herr Oberarzt!«
»So beruhigen Sie sich doch, meine Liebe.« Dr. Wagner hatte die verwelkten Hände der Schwester ergriffen und hielt sie beschwörend fest. »Ich werde hier schon für Ordnung sorgen, das verspreche ich Ihnen. Nur … Sie müssen bleiben, ja? Sie können doch mich und die Klinik nicht im Stich lassen!«
Geschmeichelt legte sich das Spitzmausgesicht in freundliche Fältchen. Ein schmachtender Blick traf den so verständnisvollen Vorgesetzten. Mit komischer Geziertheit entzog sie ihm ihre Hände.
»Wenn Sie meinen, Herr Oberarzt. Ihnen zuliebe würde ich vielleicht ausnahmsweise … Aber …«
Schwester Euphrosine blitzte den ›Neuen‹ vernichtend an und rauschte dann mit der Würde einer regierenden Fürstin hinaus. Ihr furchtbares ›Aber‹ sollte ein Geheimnis bleiben.
Dr. Wagner ging gemessenen Schrittes auf den unerwünschten Kollegen zu. Vor Bruckner reckte er sich, was nicht gerade ehrfurchtgebietend wirkte.
»Sie gehen sofort an die Arbeit! Ich bitte mir aus, daß keine weiteren Klagen kommen!«
»Sehr wohl, Herr Oberarzt.« Thomas Bruckner lächelte
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